Lange blieb das Thema Doping in Österreich unbeachtet. Das Geständnis von Bernhard Kohl ändert dies. Ein System aus Lügen und Vertuschung gerät ins Wanken

Von Joseph Gepp, Christoph Heshmatpour, Gerd Millmann, Johann Skocek und Daniel Nutz

2009 zuerst erschienen im Falter, am 10. April 2009 in der ZEIT ONLINE.

Da sitzt er nun und redet. Er hebt eine Augenbraue, skeptisch, fast schüchtern, er duckt sich weg vor blendenden Blitzlichtern. Das ist nicht mehr die Öffentlichkeit, die er kannte, damals, nach seinem Sieg. Er wurde verehrt und verdammt, er war ein Held und Betrüger, er hat gejubelt und geweint. Nur geredet hat er nie.

Bernhard Kohl, 27, ein junger Mann aus Wolkersdorf im Weinviertel, Rauchfangkehrerlehrling, Radprofi. Vergangenes Jahr fuhr er als Dritter der Tour de France den größten Erfolg der österreichischen Radsportgeschichte ein. Drei Monate später gestand er, von positiven Kontrollen in die Enge getrieben, seinen Dopingmissbrauch. Er weinte dabei. Titel und Ruhm waren so plötzlich verschwunden, wie sie gekommen waren. Bernhard Kohl ist zur Chiffre geworden, zum Anlass und Symbol dafür, dass bei Doping in Österreich etwas in Bewegung geraten ist.

Vorvergangenen Dienstagabend gibt er erneut eine Pressekonferenz. Diesmal geht es um Hintermänner und dopende Sportlerkollegen. Namen zu nennen hat Kohl stets verweigert und dadurch das Interesse am Thema Doping erst recht angeheizt.

Jetzt blickt er immer fragend zu seinem Anwalt. Man wachse von Beginn an in diese Szene hinein, rechtfertigt er sich leise. Er habe sich am Kauf einer Blutzentrifuge beteiligt, erzählt er, mit anderen Sportlern. 20.000 Euro habe sein Anteil am Eigenblutdoping im Einfamilienhaus betragen. Und dann nennt er den Mann, der all das organisiert haben soll: Stefan Matschiner, 33, seinen ehemaligen Manager.

13 Stunden früher. Im oberösterreichischen Laakirchen sitzt Matschiner gerade am Frühstückstisch, als die Polizei eintritt. Zehn Mann, Sonderkommission Doping. Zwei bewachen ihn, der Rest durchsucht das Haus. Dann führen sie ihn ab.

Als Kohl im Café Landtmann spricht, sitzt Matschiner schon in Untersuchungshaft, teilt dort für eine Nacht die Zelle mit dem Bankier Julius Meinl. Die Triathletin Lisa Hütthaler hat den Sportmanager drei Tage zuvor in einem Kurier-Interview belastet, Kohl tut es jetzt auch, obwohl er bisher immer das Gegenteil behauptet hat. Sie beide wollen Kunden bei Matschiner gewesen sein. Mit Epo, Wachstumshormonen, Insulin und Testosteron sei dort gehandelt worden. Um tausende Euro, im improvisierten Heimlabor, mit Decknamen auf Blutbeuteln und Medikamentenschächtelchen.

Und es soll noch mehr Kunden gegeben haben, sagt Kohl. Der Sonderkommission habe er die Namen bereits genannt.

Österreich, dieser Tage. Ein Dopinggeständnis ergibt eine Verhaftung, auf sie folgen wiederum Geständnisse. So kommen derzeit laufend Fakten ans Licht, die bislang nur als Gerüchte existierten. Es fallen Namen, die auszusprechen bislang eine Unterstellung gewesen wäre. Es offenbaren sich Zusammenhänge, die bislang vage Verdachtsmomente plötzlich erdrückend konkret machen.

Jetzt spricht das ganze Land vom „Netzwerk“, vom „Doperparadies“, von der „Mafia-Organisation“ im Hintergrund. Zwölf Leute soll der innerste Kern der Dopingclique umfassen, besagen Gerüchte, von denen man derzeit recht viele hört.

Wie Schneebretter, die eine Lawine auslösen, reißt nun eine Information die nächste mit sich.

Den ersten Impuls gab der Druck des Auslands. Als eine Putzfrau bei den Olympischen Winterspielen von Salt Lake City 2002 im österreichischen Quartier Blutbeutel und Spritzen fand; als der Langlauftrainer Walter Mayer nach einer Razzia bei den Spielen von Turin 2006 betrunken und mit Selbstmordabsicht in eine Kärntner Verkehrskontrolle raste; als das Gerücht aufkam, dass Experten für DDR-Staatsdoping seit dem Mauerfall ihre Kenntnisse in Österreich verbreiten – da schwante es den kanadischen Weltdopingkontrolloren, den Schweizer Olympiamanagern, den deutschen Journalisten: Etwas stimmt nicht im Staat Österreich. Sie belegten Sportler mit Berufssperren, sie zwangen den mächtigen Österreichischen Skiverband zur Geldbuße und Rechtfertigung, sie nahmen das mysteriöse Blutlabor Humanplasma in Wien-Alsergrund ins Visier. Und eine Debatte kam in Gang.

Danach, wie ein zweites Schneebrett, folgten österreichische Medien. Engagierte Schreiber vom Kurier, von den Oberösterreichischen Nachrichten, von der Tiroler Tageszeitung thematisierten die Vorwürfe. Sie arbeiteten hart gegen mächtige Sportverbände, die viel zu verlieren haben. Und gegen eigene Kollegen, die ihre Jubelmeldung zur patriotischen Bürgerpflicht erklärt haben. Die Debatte weitete sich aus, reicherte sich an, wurde konkret.

Zuletzt, als das Gebälk schon knarrte, kamen die Behörden ins Spiel. Gesetze wurden verschärft. Die neu gegründete Nationale Antidopingagentur Nada, die unabhängig von Sportverbänden agiert, ersetzte 2008 ihren zahnlosen Vorgänger, das Österreichische Anti-Doping-Comité. SPÖ-Sportminister Norbert Darabos gilt – im Gegensatz zu seinem ÖVP-Vorgänger Reinhold Lopatka – als Falke, was Doping betrifft. Er fordert Haftstrafen, nicht nur für den Handel, sondern auch für den Konsum von verbotenen Leistungssteigerungssubstanzen.

Die Konsequenzen dieses Wandels zeigen sich im Aufwand für Dopingjagd und im Diskurs darüber: Doping betreute früher bundesweit ein einziger Polizist, der zusätzlich noch das Feld Umweltkriminalität abdecken musste. Heute ermittelt eine zehnköpfige Sonderkommission.

Bei Sportfans und Behörden gilt es jetzt nicht mehr als geduldetes Kavaliersdelikt. Mit Heißhunger stürzen sich Journalisten und Interessierte auf das nächste Geständnis, die nächste Verhaftung, den nächsten geoffenbarten Zusammenhang. Für exklusive Interviews zücken Zeitungen mittlerweile das Scheckbuch.

So formten die Schneebretter eine Lawine, die derzeit das österreichische Sportlerdorf unter sich begräbt: Freitag vor zwei Wochen werden erstmals in Österreich zwei Personen wegen mutmaßlichen Dopinghandels festgenommen, ein ehemaliger Radprofi und ein Apotheker – beide sind inzwischen wieder  frei. Zwei Tage später kommt Walter Mayer, Ex-ÖSV-Trainer und einst als „Vater des österreichischen Langlaufwunders“ gerühmt, in U-Haft. Weitere zwei Tage darauf bezichtigt die gesperrte Triathletin Lisa Hütthaler in einem aufsehenerregenden Kurier-Interview Stefan Matschiner und den Wiener Kinderarzt Andreas Z. des Dopinghandels. Vier Tage später, vorvergangenen Dienstag, wird Stefan Matschiner festgenommen. Gleichzeitig kommen drei Hobbysportler in Haft, die in Fitnessstudios mit Anabolika gedealt haben sollen. Und am Abend desselben Tages gibt Bernhard Kohl seine Pressekonferenz.

Dabei fällt ein weiterer Name. Denn Kohl bestätigt nicht nur Hütthalers Anschuldigungen gegen Matschiner. Er spricht auch ein Institut an, dessen mutmaßliche Machenschaften man aus Mangel an rechtlicher Handhabe mittlerweile wieder ad acta gelegt hatte: Humanplasma.

Humanplasma, ein Blutplasmaspendezentrum am Alsergrund, in einem grauen 70er-Jahre-Bau schräg gegenüber dem Franz-Josephs-Bahnhof. An diesem Tag schlüpfen vor allem Studenten und Lehrlinge durch die Tür im ersten Stock. Es riecht klinisch sauber, pro Plasmaspende winken 20 Euro.

An stillen Sonntagvormittagen, munkelte man lange, würden statt der Studenten und Lehrlinge andere Kunden kommen. Internationale Spitzenathleten würden Humanplasma zum Blutdoping nutzen, behauptete die Die Zeit Anfang 2008 erstmals öffentlich. Kurz darauf wurde die Weltantidopingagentur Wada beim damaligen Sportstaatssekretär Reinhold Lopatka vorstellig und forderte in Sachen Humanplasma zum Handeln auf.

Plasma, der flüssige und zellfreie Teil des Blutes, wird zu Medikamenten verarbeitet. Im Humanplasma-Tagesbetrieb zapft man Spendern rund zwei Liter Blut ab. Sie fließen durch eine Maschine, die das Plasma vom Blut trennt. Es bleibt dem Labor, während das restliche Blut mittels Schlauch zurück in die  Adern der Ellbogenbeuge geht.

Nun aber erhoben sich immer mehr Stimmen, die das Geschehen abseits dieses Tagesbetriebs ansprachen: Hunderte Spitzenathleten seien in das Institut gegangen, behauptete ein finnischer Exlanglauftrainer. Die Wiener Blutbank soll eine europäische Adresse gewesen sein, ein Umschlagplatz für Busladungen voller Sportler. Und Österreichs Behörden begannen zu ermitteln.

Blutdoping ist schwer nachzuweisen und entsprechend beliebt bei Athleten. Per Infusion bekommt der Doper einen Extraliter Blut aus einem Plastikbeutel. Es kann – vorab gezapftes – eigenes oder fremdes sein, solange Rhesusfaktor und Blutgruppe stimmen. Blut transportiert Sauerstoff. Mehr Blut bedeutet mehr Sauerstoff und damit mehr Ausdauer. Der Effekt hält rund einen Monat – bei entsprechender Belastung für das Herz, das den Extraliter durch den Organismus pumpen muss. Blutdoping verfolgt denselben Zweck wie das Hormonpräparat Epo, Erythropoetin. Epo ist als Medikament gegen Anämie gedacht, den Mangel an roten Blutkörperchen. Es ergänzt jene Substanz in der Niere, die Blutkörperchen bildet. Im Vergleich zu Blutdoping ist Epo für Sportler problemlos zu handhaben – man setzt sich eine Spritze mit fünf Millilitern Flüssigkeit in die Bauchfalte. Allerdings ist Epo auch leichter nachweisbar als der Zuschuss von Extrablut.

Die Ermittlungen gegen Humanplasma blieben trotz aller Hinweise ergebnislos. Blutdoping war zu diesem Zeitpunkt noch nicht Bestandteil des österreichischen Antidopinggesetzes. Vor zwei Wochen wurde das Verfahren gegen zwei Humanplasma-Ärzte deshalb endgültig eingestellt.

Dann kam Bernhard Kohl, der mit Epo und Extrablut gedopt hatte. Bei der Pressekonferenz vorvergangenen Freitag sagte sein Anwalt Manfred Ainedter: „Als Humanplasma nach den Vorfällen von Turin zusperren musste, hat Herr Matschiner die Agenden übernommen, die Geräte angeschafft und damit Blutdoping betrieben.“

Diese Aussage könnte eine weitere Lawine auslösen. Denn Kohl und sein Anwalt gestanden nicht nur den Kontakt mit Humanplasma, wo Matschiner seine Blutzentrifuge herbekommen haben soll. Sie zogen auch eine Linie von der Blutbank zu den Spielen von Turin, wo bei einer Razzia im Quartier der österreichischen Langläufer und Biathleten große Mengen an Dopingutensilien gefunden worden waren. Es scheint, als habe Matschiner – in Turin 2006 übrigens auf Besuch bei Langlauftrainer Walter Mayer – nach dem Skandal die verrufenen Aktivitäten von Humanplasma weitergeführt. Und es scheint, als hätten auch einige österreichische Skiathleten den umtriebigen Matschiner konsultiert.

Mittlerweile haben neue Ermittlungen gegen Humanplasma begonnen, wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung. Und glaubt man Polizeikreisen, dann arbeitet sich die Soko immer weiter dorthin vor, wo es wirklich wehtut: in Richtung Skisport.

Skisport und der ÖSV, ein österreichisches Dogma, ein Hort erfolgreicher Sportler und Funktionäre. Nicht einmal zwei große Dopingskandale in vier Jahren – Salt Lake City 2002, Turin 2006 – konnten dem mächtigen Skiverband wirklich schaden.

Erst vergangene Woche, unter dem Druck der Ereignisse, sprach sich ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel für die strafrechtliche Verfolgung von dopenden Sportlern aus. Er schließt sich damit anderen Sportverbänden an und befürwortet den Darabos-Plan. Schröcksnadel steht unter Druck. Denn der Turiner Staatsanwalt Raffaele Guariniello prüft derzeit gegen ihn und weitere ÖSV-Funktionäre eine Anzeige wegen organisierten Dopings in Turin. Vor allem, dass man Langlauftrainer Walter Mayer trotz Sperre nach Turin mitnahm, stößt Guariniello sauer auf.

Der ÖSV-Präsident verteidigt sich: Ja, der gesperrte Mayer sei zwar als Mitglied der ÖSV-Delegation in Turin gewesen. Aber das Österreichische Olympische Comité habe doch gewusst, dass eine Razzia kommen würde. Und den Landsmännern vom Skiverband unsolidarischerweise nichts davon erzählt.

Die Argumentation entspricht einem alten Denkschema in Sachen Doping: Nicht dopende Sportler und Hintermänner sind böse, sondern heimische Funktionäre. Schröcksnadel beklagt, dass ihn das hiesige Olympiakomitee ans Messer lieferte, indem es die Razzia nicht verriet. Solche Muster scheinen sich durchzuziehen: „Nur in zerstrittenen Verbänden gibt es positive Dopingtests“, erklärt der Michael Dimmel, Trainer und Lebensgefährte der Triathletin Lisa Hütthaler. „Beim ÖSV und beim Fußballbund sind sie absolute Ausnahmen.“

Die Muster verhinderten lange Zeit Aufklärung. Sie führten dazu, dass Österreich zu einem Zentrum und Umschlagplatz für Doping wurde. Dass ein „Dopingparadies“ entstand, wie die ehemalige Schwimmerin Vera Lischka im Vorjahr meinte.

Das offizielle Österreich maß Doping lange Zeit keine Bedeutung bei. Das beweist eine lange Reihe von Widersprüchen, Vertuschungen und Ungereimtheiten.

Die erste internationale Dopingkontrolle fand 1993 statt, bei der österreichischen Sprinterstaffel. Alle vier Läufer hatten, wie sich herausstellte, anabole Steroide konsumiert. Anabolika werden, im Gegensatz zu Blutdoping oder Epo, oft in Form von Tabletten eingenommen, sie dienen dem Muskelaufbau und weniger der Ausdauer.

Die vier Sprinter wurden vom Sportmediziner Hans Holdhaus betreut. Er darf seitdem keine Kontrollen mehr durchführen, wird aber trotzdem bis heute in Österreich als Dopingexperte herumgereicht.

Neun Jahre später entdeckte man in Salt Lake City Blutbeutel und Spritzen im Müll von Österreichs Langläufer. Die heimische Politik reagierte prompt: Per Verordnung verfügte FPÖ-Verteidigungsminister Herbert Scheibner, dass Dopingkontrollen im Langlauftrainingszentrum Hochfilzen, das in Militärgebiet liegt, nur noch bei schriftlicher Voranmeldung möglich seien.

Ähnlich verhielt es sich, als Humanplasma ins Gespräch kam. Dass Wien offenbar Doping-Anlaufstelle war, dürfte man gewusst – und ignoriert – haben. Darauf lässt eine Aussage von Lopatkas Vorgänger, FPÖ-Sportstaatssekretär Karl Schweitzer, schließen. Im Rückblick auf seine Amtszeit erklärte er kürzlich Der Zeit : „Natürlich habe ich von Humanplasma gewusst. Da waren ja alle dort.“

Dass sich sein Nachfolger Lopatka ebenso wenig für Humanplasma interessierte, schreiben manche seiner Familie zu: Bruder Ferdinand ist ÖSV-Teamarzt. Und dass zwischen dem ÖSV und Humanplasma manch Querverbindung bestand, weiß man spätestens seit den Aussagen von Kohl-Anwalt Ainedter über Stefan Matschiner, der nach Turin die Dopingagenden von Humanplasma übernommen haben soll.

Wissen, aber wegschauen. Dieses Credo im Interesse der Staatsräson hat den Umgang der Politik mit Doping jahrzehntelang geprägt. 1997 entdeckten Steuerfahnder im Haus des oberösterreichischen Exbodybuilders Manfred Kiesl Unmengen an Dopingmitteln. „Unfassbar, dass mein Mann so etwas im gemeinsamen Kühlschrank gelagert hat“, meinte dazu seine Frau, Theresia Kiesl, Olympiabronzegewinnerin im Mittelstreckenlauf 1996 und heute ÖVP-Oberösterreich-Sportsprecherin. „Ich fühle mich hintergangen.“

Bei derselben Hausdurchsuchung fand die Polizei auch eine Liste mit mutmaßlichen Kunden von Manfred Kiesl. Es kam allerdings nie zu Ermittlungen. Stattdessen verschwand die Liste spurlos. Bis heute weiß niemand, wo sie sich befindet. Und Kiesl gründete sechs Jahre später eine Firma zur Sportvermarktung – gemeinsam mit Stefan Matschiner.

Erst jetzt beginnt das Umdenken. Im August 2008 trat ein neues, strengeres Antidopinggesetz in Kraft. „Strenge Strafen und bessere Möglichkeiten für die Fahnder haben die Situation verändert“, sagt der Innsbrucker Sportpsychologe Christopher Willis. „Jetzt ist es aber unbedingt notwendig, dass an Schlüsselpositionen Leute sitzen, die das neue System vertreten.“

Eine dieser Schlüsselpositionen haben Dopinggegner schon inne. „Ich will, dass auch Sportler bestraft werden“, wiederholt Sportminister Norbert Darabos immer wieder (siehe Interview Seite 37). Nur so komme man an die Hintermänner.

Im politischen Establishment gilt das als Maximalforderung – und Darabos findet dafür nicht einmal in der eigenen Partei Rückhalt. Sportsprecher von SPÖ wie ÖVP plädieren für die bestehende Ordnung: nein zur Strafbarkeit von Sportlern, ja zu jener der Hintermänner. „Das ist eine Doppelbotschaft“, meint Sportpsychologe Christopher Willis. „Einerseits ist Dopen verboten. Andererseits okay, solange man nicht erwischt wird.“

Die fehlende Strafbarkeit von Sportlern führt zu vertrackten Situationen: Die Fahnder der Soko Doping haben nach eigenen Angaben inzwischen rund 70 Dopingsünder ermittelt. Die Antidopingagentur Nada wäre beauftragt, gegen diese Athleten Sperren zu verhängen. Das kann sie aber nicht, weil die Justiz ihre Namen nicht an die Nada weitergeben darf: Die Sportler sind ja unbescholten und Ermittler zur Verschwiegenheit verpflichtet. Überführte Doper wie Lisa Hütthaler oder Bernhard Kohl legen vor der Staatsanwaltschaft Geständnisse ab, der Nada hingegen verweigern sie die Aussage. Auch im wichtigen Fall Matschiner durfte die Nada nicht in die Akten sehen und musste sich ihr Wissen aus den Zeitungen holen. „Eine nicht hinnehmbare Situation“ nennt das NADA-Jurist Gernot Schaar, der nun als Privatankläger gegen den angeblichen Wiener Doping-Arzt Andreas Z. vorgehen will. Nur auf diese Art könne er an die Unterlagen kommen.

„Erst angesichts der aktuellen Affären“, sagt NADA-Geschäftsführer Andreas Schwab, „sind die Behörden bereit, die Zusammenarbeit zu verbessern.“ Zwar müssten juristische Fragen noch geklärt werden. Aber es ist etwas in Bewegung geraten, was Doping in Österreich betrifft.

Öffentlicher Druck ist entstanden, der Vertuschungen verhindert und Akteure zum Handeln zwingt. Medien und Behörden treiben die Causa weiter, mit ihren Recherchen und Informationen stärken sie sich gegenseitig.

Ein Lügensystem hat so an allen Ecken zu krachen und wanken begonnen. Eine spannende multidimensionale Erzählung mit vielen Akteuren hat sich entwickelt.

Am Ende dieser Erzählung, in einem weißen Raum eines schmucklosen zweistöckigen Hauses, sitzt Edmund Benetka. Er ist weit weg von der oft hysterischen Dopingdebatte – und doch mittendrin. Benetka, 48, leitet die Chemische Analytik am Forschungszentrum Seibersdorf, Gebäude EB, das sogenannte Dopinglabor.

Er nimmt die versiegelten Gläschen mit Harn oder Blut in Empfang, die von Sportverbänden oder Nada per Botendienst geschickt werden. Er taut die Proben auf, zentrifugiert sie, jagt sie durch Messgeräte, überprüft die Ergebnisse am Bildschirm auf mögliche Spuren. Surreal angeordnete weiße Flecken auf schwarzem Grund zeigen ihm dann, ob ein Sportler Epo gespritzt hat oder nicht. Benetka öffnet eine schmale Kühlkammer, minus 20 Grad, hier steht das mögliche Beweismaterial: Gläschen in blauen Boxen, durchnummeriert, geschlichtet in stählerne Regale. Das Nadelöhr des sauberen Sports in Österreich.

Und wenn alle Abläufe erfolgt und alle Aufbewahrungsfristen verstrichen sind, dann komme das Zeug ins Klo, sagt Benetka. Dann befassen sich andere Stellen mit dem Thema.

Mit freundlicher Genehmigung des Falters in der ZEIT ONLINE veröffentlicht.