Heimlichtuerei, Ungereimtheiten, Beschwichtigungen. Niemand kann garantieren, dass österreichische Skifahrer ausreichend kontrolliert werden. Ein Sittenbild.
Von Gerd Millmann

Quelle: DIE ZEIT Nr. 48/2007 vom 22. November 2007

Ein heikles Thema, ein paar schwarze Schafe vielleicht. Doch in Österreich scheint es kein großes Problem zu sein, wenn sportliche Leistungen nicht immer ganz regelkonform erzielt wurden. Der des Dopings überführte Skifahrer Hans Knauss kommentierte während seiner Sperre Skiübertragungen für den ORF, der gedopte Hürdenläufer Elmar Lichtenegger arbeitet heute für den Leichtathletikverband und als Sportsprecher des BZÖ. Der wegen Dopings an DDR-Jugendlichen verurteilte Arzt Bernd Pansold betreut die von Red Bull gesponserten Sportler. Und die Läuferin Theresia Kiesl werkt als Präsidentin des Oberösterreichischen Leichtathletikverbands. In ihrer Wohnung waren 1998 Unmengen an Wachstumshormonen und Anabolika sichergestellt worden.

Wenn das Wort Doping fällt, zeigen sofort alle Finger auf die schmutzigen Helden des Radrennsports. Aber Doping bei Skifahrern? Noch dazu in Österreich, der besten Skination der Welt? Ein Tabu. Doch ein Blick auf die Mechanismen, mit denen die Heroen der Pisten kontrolliert werden, zeigt: Das eigentlich für strenge Kontrollen bezahlte Anti-Doping-Comité kommt seiner Aufgabe nicht nach. Stattdessen stößt man allerorten auf Heimlichtuerei, Beschwichtigung und Ungereimtheiten.

»Mein Name kommt aber nicht vor.«. Fast jedes Gespräch zum Thema Doping endet mit diesen Worten. Trainer, Spitzensportler, Politiker, Juristen – sie alle wollen anonym bleiben. Eine Recherche über Organisierte Kriminalität könnte ähnlich verlaufen.

Wovor haben die Beteiligten Angst? »Manche fürchten um ihr Leben. Da geht es um viele Millionen Euro«, sagt einer, der es wissen muss. Der Kärntner Richter Arnold Riebenbauer hat im Auftrag des österreichischen Skiverbands ÖSV jenen Disziplinarausschuss geleitet, der nach der Turiner Dopingaffäre im Februar 2006 zwei österreichischen Biathleten und deren Betreuern aktives Doping attestierte. »Eine Spur führte uns zu einer Blutbank in Wien«, sagt Riebenbauer. Kunden können bei der Filiale eines internationalen Pharmaunternehmens Blutplasma spenden oder eigenes Blut lagern, um bei einer Operation darauf zurückgreifen zu können.

Blutbanken bieten aber auch ideale Voraussetzungen für sogenanntes Blutdoping. Dabei lassen sich Sportler Blut abzapfen, die darin enthaltenen roten Blutkörperchen werden konzentriert später wieder zugeführt: eine sehr wirkungsvolle, aber streng verbotene Methode, um die Ausdauerfähigkeit zu steigern. »Es drängt sich der Verdacht auf, dass Österreicher, aber auch Deutsche, das DDR-Trainingssteuerungssystem samt Blutdoping übernommen haben«, meint Giselher Spitzer, Privatdozent an der Berliner Humboldt-Universität und Kenner der DDR-Sportmedizin. Blutdoping erlebe derzeit ein Revival, weil Epo, ein verbotenes Hormonpräparat, das ebenfalls die Zahl der roten Blutkörperchen erhöht, von den Dopingfahndern mittlerweile gut nachgewiesen werden kann.

Wer einen Dopingtest versäumt, wird fortan in Ruhe gelassen

Das Blutlabor in Wien ist dabei offenbar eine einschlägig bekannte Adresse. »Natürlich kenne ich es. Viele Skifahrer gehen dorthin, aber beweisen kann es niemand«, erinnert sich ein ehemaliges Mitglied der Bundesregierung, das namenlos bleiben will. Ganz anders sieht das der ärztliche Leiter des Labors: »Wir betreuen keine Sportler, unsere Kunden sind Hausfrauen und Studenten.«

Wenn schon ein Richter von »Indizien« spricht und ein ehemaliger Spitzenpolitiker ihm zustimmt: Warum geht die Justiz den Vorwürfen nicht nach? »Doping kann nicht strafrechtlich verfolgt werden«, sagt Richter Riebenbauer. »Deshalb stehen auch keine Zwangsmaßnahmen zur Verfügung – alle müssen freiwillig aussagen.« Daran wird auch das neue Antidopinggesetz nichts ändern, das am 1. Juli 2008 in Kraft tritt. Dieses Gesetz, angeblich eines der strengsten weltweit, wurde nach der Dopingaffäre der Langläufer in Turin eilig beschlossen, um zu verhindern, dass heimische Teams von den Olympischen Spielen ausgeschlossen werden. Sportliche Leistungssteigerung mithilfe verbotener chemischer oder medizinischer Methoden wird weiterhin nicht strafrechtlich geahndet. Lediglich die finanziellen Mittel für Tests, Aufklärung der Sportler und Prävention werden aufgestockt, und das Anti-Doping-Comité (ÖADC) soll durch eine neue Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) ersetzt werden, die unabhängig von den Fachverbänden wie der mächtigen Skiorganisation ÖSV agiert. Sportstaatssekretär Reinhold Lopatka meint: »Mit dem neuen Gesetz ist nun endlich sichergestellt, dass die Verbände keinen Einfluss mehr auf die Kontrollen haben.«

Heißt das, die Fachverbände bestimmen derzeit mit, ob ihre eigenen Sportler getestet werden? »Natürlich machen die das. Die wollen ja nicht, dass ihre Stars erwischt werden«, erzählt ein Leichtathletiktrainer, der anonym bleiben möchte, »weil ich sonst sicher von meinem Fachverband und vom ÖADC schikaniert werde«. Seiner Erfahrung nach geben die Verbände sogar eindeutige Anweisungen an das Anti-Doping-Comité. »Die sagen immer: Testet doch lieber die Jungen, damit wir sehen, wer wirklich Talent hat und wer einfach schon früh mit Doping begonnen hat.«

Das ÖADC bestreitet diesen Vorwurf. Ein Sprecher erklärt: »Welcher Sportler wann getestet wird, entscheiden drei sach- und fachkundige Herren.« Namen oder Qualifikation jener drei Herren seien jedoch geheim. »Wegen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte«, wie der Sprecher behauptet.

»Nicht alle nationalen Antidopingagenturen haben ein Interesse an lückenloser Aufklärung«, meint Dopingexperte Giselher Spitzer. »Man kennt eben seine Pappenheimer. Und wenn es zu einem Test kommen soll, dann ist der Sportler eben gerade unabkömmlich.« Laut geltendem Antidopinggesetz wird ein Sportler automatisch sanktioniert, wenn er innerhalb von 18 Monaten dreimal für angeordnete Tests nicht auffindbar ist. Das ÖADC gibt dazu eine bemerkenswert offene Auskunft. »Das kommt bei uns nicht vor. Wenn ein Sportler nicht auffindbar ist, verfolgen wir das in der Regel nicht weiter«, sagt der Sprecher.

Verraten wird auch das Verfahren, mit dem das ÖADC die Sportler kontrolliert. Es heißt Intelligent Testing: Dabei sollen Kontrollen hauptsächlich während des Aufbautrainings stattfinden, einer Phase, in der Doping besonders sinnvoll ist: Während der internationalen Wettkämpfe, bei denen die Sportler ständig mit Kontrollen rechnen müssen, können die verbotenen Substanzen dann nicht mehr nachgewiesen werden.

Ob das ÖADC tatsächlich in der Trainingsphase – also intelligent – testen lässt, ließe sich leicht mittels einer Auflistung aller Doping-kontrollen verifizieren. Den Nachweis bleibt die oberste Antidopingbehörde Österreichs allerdings schuldig. Man könne darüber leider keine Informationen weitergeben, wegen der Persönlichkeitsrechte, bedauert der ÖADC-Sprecher, der als i-Tüpfelchen der Verschwiegenheit sogar seinen eigenen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Dabei soll das ÖADC laut Statut neben der »Bekämpfung des Dopings im Sport« auch »die Information der am Sport interessierten Öffentlichkeit und Akteure« gewährleisten.

Immerhin würden die Sportfachverbände die geheimen Listen der Dopingtests von dem Anti-Doping-Comité zugestellt bekommen, erklärt der anonyme ÖADC-Sprecher. Tatsächlich geben Schwimm- und Leichtathletikverband ihre Testlisten ohne Aufhebens weiter. Aus ihnen geht hervor, dass bisweilen alles andere als intelligent getestet wird. Die amtierende Marathon-Rekordhalterin ist etwa im Jahr ihres Rekords während ihres Trainings kein einziges Mal kontrolliert worden.

Beim ÖSV hingegen weiß man nichts von solchen Listen: Weder Alpin-Direktor Hans Pum noch Präsident Peter Schröcksnadel wollen vom ÖADC je eine Aufstellung der Tests bekommen haben. Schröcksnadel erklärt aber, die ÖSV-Athleten würden häufiger kontrolliert als alle anderen. 150 Kontrollen habe es während der vergangenen Skisaison gegeben – ungefähr eine Kontrolle pro Sportler. Ob auch außerhalb der Wettkampfphase getestet wird, kann Schröcksnadel nicht sagen. Er verspricht jedoch, die Liste vom ÖADC anzufordern und darüber Auskunft zu geben. Trotz mehrmaliger Nachfragen bleibt er dies bis Redaktionsschluss schuldig.

Der Olympiasieger wurde vor seiner letzten Saison nicht mehr getestet

Wohl aus gutem Grund: Der einzige Skistar, der bereit war, mit der ZEIT über Doping zu sprechen, der nicht mehr aktive Olympiasieger Fritz Strobl, gibt an, im Sommer vor seiner letzten Saison (2006/07) kein einziges Mal getestet worden zu sein. Dabei sei gerade bei Skifahrern das Doping während des Aufbautrainings sinnvoll, erklärt Sportarzt Hans Holdhaus, einer der entschiedensten Dopinggegner des Landes: »Etwa mit anabolen Stereoiden« könnten während der Trainingsphase Muskeln aufgebaut werden. Für das ehemalige Regierungsmitglied ist die Sache klar: Manche Skifahrer würden richtiggehend aufgepumpt. »Die machen das sehr professionell. Und nach dem Ende ihrer Karriere verlieren sie dann oft 20 Kilogramm ihrer Muskelmasse.«

Viele dieser Gerüchte könnten mit etwas mehr Transparenz aus der Welt geschafft werden. Stattdessen wird verniedlicht. »Austria is a too small country to make good doping«, hatte ÖSV-Präsident Schröcksnadel bei seinem legendären Auftritt 2006 in Turin der versammelten internationalen Presse mitgeteilt. Eine merkwürdige Argumentation, wenn es darum geht, die Integrität der dominierenden Skination zu verteidigen.

Schon 2002, nach der ersten österreichischen Dopingaffäre in Salt Lake City, gab es keine personellen Konsequenzen. Dieselben Akteure waren auch in Turin verantwortlich tätig. Und sind es heute noch. Einzig Walter Mayer, den Langlauftrainer, der nach einer Amokfahrt im Februar 2006 den österreichischen Behörden ins Netz ging, konnte der ÖSV nicht halten. Auch um ihn ranken sich Gerüchte. »Der hat eine gesunde Zahlung erhalten, damit er stillhält«, erzählt ein ÖSV-Mitarbeiter. Der Verband selbst bestreitet das.

Sicher ist: Der Erfolg der geplanten, unabhängigen Antidopingbehörde steht und fällt mit den Personen, die dort das Sagen haben werden. Eine trübe Aussicht. »Jetzt schon versucht der ÖSV, sich über ein Hintertürl in die neue Agentur einzuschleichen«, meint ein Beamter, der an der Umsetzung des Gesetzes im Bundeskanzleramt beteiligt ist. Er macht sich keine Illusionen: »Wird das strenge Dopinggesetz wirklich umgesetzt, muss sich Österreich in einigen Sportarten von der Weltspitze verabschieden.«

Dieser Artikel stammt aus DIE ZEIT, Österreich Ausgabe 48/2007 vom 22. November 2007.