Bald ist das Monopol des Staatsbetriebes ÖBB im Personenverkehr gebrochen. Dann fährt die erste private Luxusbahn
Von Gerd Millmann
Quelle: DIE ZEIT, Ausgabe 7/2009 vom 5. Februar 2009.
Die Österreicher haben sich an gewisse Standards gewöhnt. Verspätete Züge, die gelegentlich wegen Altersschwäche in einer unwirtlichen Region stecken bleiben, Abteile, deren Heizungen ausfallen oder zu heiß laufen, und zahlreiche Zwischenstopps, die das Reisen in eine quälend langsame Bummelei verwandeln.
Indes bereitet sich ohne großes Aufsehen eine kleine Revolution vor. Bald soll auch auf Österreichs Bahnhöfen Schweizer Pünktlichkeit Einzug halten. Fahrpläne sind dann passé, der moderne Passagier braucht nur zu jeder vollen Stunde auf dem Bahnsteig in Wien aufzutauchen und einzusteigen. Ihn erwartet viel Komfort zu niedrigen Preisen. Sein Ticket kauft er online oder direkt im Zug, wo bereits in jedem Waggon ein persönlicher Betreuer auf ihn wartet und sich um sein Wohlergehen kümmert.
Was noch ein wenig nach Utopie im grauen Bahnalltag klingt, soll im Dezember 2011 Realität werden. Dann verkehrt mit WESTbahn der erste private Personenexpress in Österreich. Mit 200 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit wird der blitzblaue Doppelstockzug mit den dynamischen gelben Streifen von Wien nach Salzburg rauschen – mit nur fünf Zwischenstopps. Die Betreiber versprechen den Komfort der ersten Klasse zu Preisen, welche die Staatsbahn für ihre zweite Klasse verlangt. Auch ÖBB-Vorteilskarten werden bei WESTbahn akzeptiert.
In ganz Europa erobern private Unternehmen die Schienennetze, die sich bisher fest in Hand der Staatsbetriebe befanden. Eine Entwicklung, für die von der EU-Kommission fast zwei Jahrzehnte lang gekämpft wurde und die nun auch vor Österreich nicht Halt macht. Bisher hatte die ÖBB ausschließlich mit Konkurrenz im Güterverkehr zu kämpfen, nun zum ersten Mal auch im Personenverkehr.
»Wir sind einfach attraktiver als die ÖBB«, sagt Stefan Wehinger selbstsicher. Der 43-jährige Vorarlberger ist Vorstandschef der Rail Holding AG, jenes Konsortiums, das in zwei Jahren den Luxuszug für jedermann auf die Schiene bringen will. Mit Jahresbeginn nahm die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit auf. Rund 120 Millionen Euro wird das WESTbahn-Konzept kosten, an dem Wehinger und der Baulöwe Hans-Peter Haselsteiner, Chef des Strabag-Konzerns, zu jeweils 50 Prozent beteiligt sind. Derzeit wird mit dem Schweizer Rollmaterialhersteller Stadler Rail über Lieferung und Wartung von vorläufig sieben Doppelstockzügen verhandelt. Leistungen im Wert von gut 100 Millionen Euro sollen die Eidgenossen beisteuern.
Ein Coach aus dem Musterland soll hohen Standard garantieren
WESTbahn ist Wehingers späte Rache an der ÖBB, auch wenn er das so nie sagen würde. Der ehemalige Verkehrsminister Hubert Gorbach holte den damaligen Vorstandsdirektor der Montafonerbahn als Personenverkehrschef 2004 zu dem schwerfälligen Staatsbetrieb, vier Jahre später musste Wehinger wieder gehen. »Nicht freiwillig«, wie er betont. Doch mit seinem Mentor Gorbach waren auch die Tage des umtriebigen Bahnmanagers gezählt.
Die Schadenfreude, seinem ehemaligen Arbeitgeber bald Konkurrenz zu machen, kann der Privatbahnpionier nicht immer verbergen: »Ich weiß aus E-Mails, die unbeabsichtigt bei mir gelandet sind, dass die ÖBB uns sehr ernst nehmen. Sie befürchten zu Recht, dass damit ein Stein ins Rollen kommt, den sie nicht mehr werden aufhalten können.«
Mit WESTbahn geht für die Staatsbahn eine Ära zu Ende. Der Platzhirsch hat ausgeröhrt. Bisher war Eisenbahn gleich Bundesbahn. Auch wenn das österreichische Schienennetz auf dem Papier eine hohe Artenvielfalt aufweist. Derzeit sind 22 Eisenbahnverkehrsunternehmen operativ tätig. Davon beschäftigen sich sechs ausschließlich mit der Beförderung von Personen, meist auf Nebenstrecken, zehn mit dem Güterverkehr und sechs betreiben beide Verkehrsarten. Das Eisenbahnrecht unterscheidet zwischen Privatbahn und Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU). Eine Privatbahn, wie zum Beispiel die Graz-Köflacher-Bahn, die Tiroler Achenseebahn oder die Salzburger Lokalbahn, besitzt ein eigenes Schienennetz. Ein EVU hingegen nutzt das Schienennetz der ÖBB und zahlt dafür eine Benutzungsgebühr. Seit 1996, als das Privatbahnengesetz in Kraft trat, darf das jeder tun, unter denselben Konditionen wie die ÖBB auch. Doch bislang beschränkten sich Konkurrenten wie die Voest, Strabag oder die Deutsche Bahn auf den Güterverkehr. In den Personenverkehr wollte sich niemand vorwagen. Bis jetzt.
»Die WESTbahn ist das Beste, was der ÖBB passieren kann«, behauptet Benedikt Weibel. Der weißhaarige Schweizer mit dem markanten Schnauzer ist Aufsichtsratsvorsitzender der Rail Holding AG und coacht das Management von WESTbahn. Der 62-Jährige ist der Grandseigneur des europäischen Eisenbahnwesens. Von 1993 bis 2006 leitete er die Schweizer SBB und machte sie zu einem Vorzeigeunternehmen, indem er den Staatsbetrieb entpolitisierte. Pragmatisierte Eisenbahner gehörten binnen kürzester Zeit der Vergangenheit an. Die SBB gelten mittlerweile weltweit als Maßstab für ein erfolgreiches Schienenunternehmen. Sowohl bei der Frequenz als auch beim Angebot an Zugverbindungen gilt die Schweiz als Musterland. Das liegt auch daran, dass Weibel während seiner 13 Jahre als oberster Fahrdienstleiter Millionen in den Taktfahrplan investierte, dem es die Schweizer verdanken, dass sämtliche Züge alle 30 oder 60 Minuten fahren. Auch die ÖBB versuchten dieses Modell zu imitieren – vergeblich. Die Züge hatten permanent Verspätung, wodurch die Passagiere ihre Anschlussverbindungen verpassten.
Weibel, der sich der ÖBB während der Fußball-EM als Berater angeboten hatte und abblitzte, kritisiert insbesondere die Versäumnisse im Personenverkehr: »Die ÖBB haben sich jahrelang nur auf den Güterverkehr konzentriert und den Personenverkehr links liegen lassen.«
Der Personenverkehr ist das Stiefkind der österreichischen Eisenbahn. Und das aus einem simplen Grund: Profit. Während die Rail Cargo AG, die Güterverkehrssparte der ÖBB, die Cashcow des Unternehmens ist, war der Personenverkehr nie eine lukrative Einnahmequelle. Die Bahnbosse sehen ihn lediglich als lästigen Auftrag der Öffentlichkeit, jeden Österreicher und sei es auch nur ein einsamer Fahrgast, in die entlegensten Gebiete der Alpenrepublik zu befördern.
Nur eine Stecke erwies sich in den vergangenen Jahren als rentabel: der Korridor Wien–Linz–Salzburg. Er ist bei Passagieren beliebt, da die 310-Kilometer-Distanz für Flüge zu kurz ist und die Bahn bei einer Fahrzeit von knapp zweieinhalb Stunden auch mit dem Auto gut mithalten kann. Deshalb haben Wehinger und Haselsteiner sich auch diese Strecke für ihre Pioniertat ausgesucht. Denn es geht ihnen nicht nur darum, alte Rechnungen zu begleichen und ein Monopol zu schwächen, sondern sie wollen vor allem Geld verdienen. WESTbahn tritt in direkte Konkurrenz zu den neuen ÖBB-Railjets. Erst im Dezember vergangenen Jahres führte der Staatsbetrieb seine modernen Hochgeschwindigkeitszüge ein, die zwischen Budapest, Wien und München verkehren. Millionen wurden in ein Modell investiert, das man im Bahnbetrieb für vergessen geglaubt hatte: die Dreiklassengesellschaft. Gerade einmal 16 Luxussitzplätze sind für die Premiumklasse reserviert, die mit Leckerbissen von Meinl am Graben, vorgewärmten Handtüchern und großzügiger Beinfreiheit lockt. Die restlichen Passagiere müssen sich mit den herkömmlichen Komfortvorstellungen der ÖBB begnügen.
Mit Railjet und WESTbahn wird es allerdings eng auf der Strecke. »Mit mehr als zwei Zügen in der Stunde ist die Kapazität der Strecke erschöpft. Alles geht auf Kosten des Güterverkehrs, dem dann freie Gleise fehlen«, beklagt ein ÖBB-Mitarbeiter, der nicht genannt werden möchte. Ihm gehe »die ganze Liberalisierung auf die Nerven«.
Die Vorherrschaft der Staatsbahnen ist in Europa endgültig Geschichte
Doch die Entwicklung scheint unumkehrbar. Und zwar in ganz Europa. In Frankreich plant Air France in Konkurrenz zur staatlichen Bahngesellschaft SNCF zu treten. Die Fluggesellschaft will ab nächstem Jahr Höchstgeschwindigkeit zwischen Paris, London und Amsterdam betreiben. In Italien plant eine Industriellengruppe um den Fiat- und Ferrari-Präsidenten Luca Cordero di Montezemolo, bereits Ende 2008 einen privaten Bahnbetrieb aufzunehmen und auf den lukrativen Strecken zwischen Mailand, Venedig, Turin, Rom und Neapel auf die Reise zu schicken. Man verspricht Ferrari-Tempo und Ferrari-Ledersitze. Weitere Verbindungen in europäische Metropolen sind anvisiert.
In Österreich ist das noch Zukunftsmusik, man denkt in kleineren Kategorien, wie Bahn-Coach Weibel einräumt: »Läuft der Betrieb gut, dann könnten wir unser Angebot auch bis nach Bratislava und München erweitern.«
Offiziell bereitet WESTbahn in der ÖBB-Zentrale noch niemandem Kopfzerbrechen. »Wir fürchten uns nicht vor Wettbewerb«, meint Personenverkehrschefin Gabriele Lutter. Die Staatsbahn lässt täglich 4000 Personenzüge verkehren und hat dafür 1800 Triebfahrzeuge im Einsatz. Da sind die sieben Schweizer Zuggarnituren der WESTbahn eine vernachlässigbare Größe.
Doch Stefan Wehinger glaubt, um die angespannte Stimmung beim Staatsbetrieb zu wissen. Dass nun auch ein früherer Chef der Zulassungsstelle für Schienenfahrzeuge bei WESTbahn anheuerte, dürfte bei der ÖBB für Verstimmung sorgen. Insgesamt sollen 500 Mitarbeiter bei der privaten Eisenbahnlinie angestellt werden. Bezahlt werden sie nach Kollektivvertrag. »Wir betreiben keine bewusste Anwerbung«, sagt Wehinger. Derzeit hat er das auch nicht nötig. Immerhin liegen bereits Dutzende von Bewerbungsschreiben von ÖBB-Mitarbeitern auf seinem Schreibtisch.
Dieser Artikel stammt aus der ZEIT, Österreich Ausgabe 7 vom 5. Februar 2009.
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