Am österreichischen Nationalfeiertag leisten Hunderte muslimische Rekruten den Fahneneid im Bundesheer

Von Gerd Millmann

Quelle: DIE ZEIT, 23.10.2008 Nr. 44

Omar Aiad liebt seine Uniform. Selbst in seinem Mobiltelefon hat er Fotos gespeichert, die ihn in voller Montur zeigen. Stundenlang hat er sein scharlachrotes Barett in Wasser eingeweicht und dann nass aufgesetzt, damit es sich perfekt an seinen Kopf anpasst. Sorgfältig hat er die Stiefel mit den Metallbeschlägen poliert, die bei jedem Schritt klackern. Einmal spazierte er in diesem Aufzug über die Mariahilferstraße. »Jeder schaut dich dann so an«, sagt der kräftige 19-Jährige und reißt die Augen ganz weit auf. »Ein Polizist hat sogar vor mir salutiert.« Mit so viel Respekt hat der Sohn ägyptischer Einwanderer nicht gerechnet. Er, der Muslim, der in der U-Bahn immer wieder wegen seines dunklen Teints als »Scheißausländer« beschimpft wurde, wird plötzlich geschätzt.

Seit Mai leistet Aiad seinen Präsenzdienst beim Gardebataillon in der Wiener Maria-Theresien-Kaserne ab. In dieser Einheit repräsentiert er Österreich bei festlichen Anlässen. Zudem werden die Rekruten auch zu Infanteristen ausgebildet und können jederzeit als Kampftruppe eingesetzt werden. Intern halten viele Präsenzdiener die Garde für eine Art Strafkompanie, in der diejenigen landen, die sich in anderen Einheiten nicht bewähren. Aiad hingegen genießt das Exerzieren, die Gefechtübungen und vor allem »das Ausrücken« bei Staatsbesuchen. »Als Muslim wirst du nur im Bundesheer als Österreicher anerkannt«, sagt er.

Wer nicht zum Bundesheer geht, wird als Weichei verspottet

Jedes Jahr sind rund 1.200 Grundwehrdiener Muslime. Auch bei der Angelobung an diesem Nationalfeiertag werden wieder Angehörige der islamischen Glaubensgemeinschaft ihren Fahneneid leisten – für sie und ihre Familien ein stolzer Augenblick. Während in der Politik, in den Schulen und am Arbeitsplatz diskutiert wird, wie man die 340000 heimischen Muslime besser integrieren könnte, stehen die Söhne türkischer, ägyptischer oder afghanischer Einwandererfamilien seit Jahren ganz selbstverständlich in Reih und Glied mit gebürtigen Österreichern. Ausgerechnet in der Garde, dem Aushängeschild des Bundesheers, machen sie sogar 40 Prozent aus

Beim Bundesheer sind Muslime in Uniform seit Langem Bestandteil des Alltags. Das hat im österreichischen Heer eine hundert Jahre währende Tradition. Nach der Annexion von Bosnien-Herzegowina im Jahr 1908 zählten die Bosniaken-Regimenter zu den Elitetruppen der k. k. Armee und stellten auch einen Teil der kaiserlichen Leibgarde.

In der Maria-Theresien-Kaserne im Wiener Nobelbezirk Hietzing können muslimische Rekruten ihrem Glauben uneingeschränkt ausüben. Die Kantine bietet Kost ohne Schweinefleisch an, und täglich können die Soldaten in einer eigenen Kasernenmoschee beten. Derzeit ist man sogar auf der Suche nach islamischen Militärseelsorgern.

»Mein Vater sagt: Erst das Militär macht dich zum Mann«, erzählt Maqsood Lodin. Der 19-Jährige ist ebenso wie Omar Aiad Präsenzdiener beim Gardebataillon. Arabische Fernsehteams und internationale Zeitungen haben den Rekruten mit dem Rauschebart bereits interviewt. Schon Lodins Vater war beim Militär und kämpfte als afghanischer Offizier gegen die Sowjets. Als die Taliban an die Macht kamen, floh die Familie nach Österreich, das Lodin als seine Heimat sieht, die zu verteidigen er bereit ist. Aber eben mit Bart.

Nur wer von der islamischen Glaubensgemeinschaft als praktizierender Muslim ausgewiesen wird, darf seine volle Gesichtbehaarung behalten und genießt die Rechte eine muslimischen Wehrmanns. Mit der Bestätigung darf man an islamischen Feiertagen Urlaub nehmen, täglich in der Moschee beten und bekommt »koscheres« Essen, wie die muslimischen Rekruten selbst ihre Verpflegung nennen, die auf Arabisch eigentlich halal (»erlaubt«) heißt.

Amir Rajabi freut sich auf den 26. Oktober. Es ist ein großer Tag für den iranischstämmigen Rekruten. Seine ganze Familie wird kommen und stolz das Gelöbnis beobachten. »Wer nicht zum Bundesheer geht, gilt in unserer Kultur als Weichei«, sagt der 22-jährige Politikwissenschaftsstudent. Während das Bundesheer weithin als Lachnummer verschrien ist, halten es viele Muslime für eine unumstrittene Bastion traditioneller Männlichkeit. Dreck, Schweiß, Waffen und Kameradschaft, so hat sich Rajabi das Soldatenleben vorgestellt. Doch statt mit der Waffe hantiert der Präsenzdiener seit zwei Wochen mit dem Rechen und kehrt das Laub auf dem Kasernenhof zusammen. Gemeinsam mit neun anderen muslimischen Rekruten gehört er der Betriebsversorgungsstaffel an, die neben den Küchendiensten auch für die Wartung des Kasernengeländes zuständig ist. Rajabi und seine Kameraden sind ausgewiesene Muslime. Dass sie nach ihrer vierwöchigen Grundausbildung nun als Putzkolonne abgestellt werden, entspricht keineswegs ihrer Vorstellung von Männlichkeit.

»Die sehr religiösen Muslime arbeiten oft in der Küche, weil dort die Diensteinteilung am einfachsten zu regeln ist und sie ihre strengen Diätregeln gleich selbst umsetzen können«, begründet Franz Reißner die spezielle Verwendung. Der Brigadier führt das Militärkommando Wien, wo die meisten muslimischen Rekruten ihren Wehrdienst leisten. Rund 17 Prozent aller wehrpflichtigen Wiener sind Muslime. Bei manchen Einberufungsterminen stellen sie bis zu 40 Prozent der neuen Wehrmänner. Viele von ihnen landen während des Präsenzdiensts in der Betriebsversorgungsstaffel oder eben in der Garde, wo keine Vorbildung notwendig ist wie in anderen Einheiten. Ein idealer Ort für die muslimischen Wehrmänner, von denen die wenigsten laut Reißner Matura hätten. Sie müssen nur drei Anforderungen erfüllen: Mindestgröße 1,76 Meter, keine Vorstrafen und volle Tauglichkeit. »Muslimische Soldaten haben eine sehr positive Einstellung zum Bundesheer«, lobt Reißner. Sie nehmen ihre Aufgaben ernst und respektieren die Vorgesetzten weitaus mehr als ihre österreichischen Kameraden. »Für sie ist kaum vorstellbar, dass ihnen ein Militärkommandant die Hand zum Gruß geben will«, erzählt er.

Offiziell gern gesehen, unter Kameraden misstrauisch beäugt

Dass die Soldaten ihre Religion praktizieren können, ist kein Entgegenkommen des Bundesheers, sondern rechtliche Verpflichtung. Früher wurden die muslimischen Rekruten jeden Freitag mit einem Bus zu einer Moschee chauffiert und nach dem Gebet zurück zur Kaserne gebracht. Seit 2004 gibt es eine eigene Moschee, in der jeden Freitag ein Imam auf Deutsch predigt. Unter der Woche übernehmen die Rekruten abwechselnd das Vorbeten. Jeden Tag richten sie sich zu Mittag für eine halbe Stunde nach Mekka und beten gemeinsam.

»Die Moschee ist wirklich sehr schön. Das habe ich nicht erwartet«, sagt Abdelrahman Abou El-Naga. Der 20-jährige gebürtige Ägypter mit den grünen Augen ist seit September beim Bundesheer. Schon seine zwei älteren Brüder haben den Eid auf die österreichische Flagge geschworen, einer sogar bei der Garde. El-Nagas Grundausbildung im September fiel ausgerechnet in den Fastenmonat Ramadan. Dass er dieses Mal auf das Fasten verzichten sollte, kam für den gläubigen Muslim nicht infrage, auch als viele seiner Freunde bereits nach ein paar Tagen aufgaben. Er hielt die vier Wochen durch, an denen er jeden Tag um vier Uhr aufstehen, beten und bis Sonnenuntergang nichts essen und trinken durfte. Anstrengend? Der Rekrut winkt ab: »So etwas macht dich nur stärker.« Die Offiziere hätten sich sehr darum bemüht, dass sie sich an ihre religiösen Vorschriften halten können. »Die österreichischen Kameraden haben uns wegen des Fastens schon sehr respektiert«, erzählt El-Naga.

Offiziell sind die Muslime beim Militär gern gesehen, weil sie auch ungeliebte Sonn- und Feiertagsdienste übernehmen, damit sie an islamischen Feiertagen zu Hause sein können. Doch nicht allen Kameraden sind die muslimischen Rekruten geheuer. Das Gebet, das Essen und die eigene Moschee werden als  Privilegien ausgelegt.

»Ich weiß von muslimischen Soldaten, die bei der Angelobung nicht den Eid auf die österreichische Fahne schwören«, sagt ein Rekrut, der anonym bleiben will. Die Mär um die Eidverweigerung geistert seit Jahren durch Österreichs Kasernen. Auch FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache erzählt die Geschichte immer wieder gern, um den angeblich fehlenden Integrationswillen von Zuwanderern zu unterstreichen. »Es gibt schon Probleme. Die Migranten bleiben unter sich«, meint der Wiener katholische Militärseelsorger Harald Tripp.

»Ich kenne diese Erzählungen, aber bislang gab es keine Beweise, dass eine Eidverweigerung stattgefunden hätten«, sagt Kommandant Reißner und nimmt die Vorwürfe gelassen. »Lagerbildungen gibt es natürlich, die Steirer bleiben ja auch gern zusammen.« Das Integrationsmodell Bundesheer lässt er sich nicht schlechtreden. »Wir brauchen die Muslime. Außerdem sind sie bei internationalen Einsätzen durch ihre Kenntnisse der Kultur und Sprache unersetzlich«, sagt der Militärkommandant.

Omar Aiad träumt bereits von einer Militärlaufbahn. Trotz der langen Tradition muslimischer Rekruten beim Bundesheer haben es nur wenige seiner Glaubensbrüder in höhere Rängen geschafft. Reißner schätzt, dass es 15 muslimische Offiziere gebe. Aiad will das ändern. Derzeit holt er die Matura nach. Danach möchte er es bis zum Brigadier bringen. »Das Bundesheer ist schon leiwand«, sagt er. Er ist stolz, dass er mit einem Panzerabwehrrohr umgehen kann und dass er stundenlang ein sieben Kilo schweres Gewehr halten kann ohne mit der Wimper zu zucken. Und vor allem ist er stolz darauf, dass er zu einer »Eliteeinheit« gehört: »Im Ernstfall müssen wir das Land verteidigen.«

Dieser Artikel stammt aus der ZEIT, Österreich Ausgabe 44/2008 vom 23.10.2008.