International steht Olympia-Funktionär Leo Wallner hoch im Kurs, daheim jedoch ist sein guter Ruf dahin.
Von Gerd Millmann
Erschienen in DIE ZEIT Nr. 31/2012 vom 26. Juli 2012
Es wird eine Schlacht der Rekorde. Wenn am Freitag im Londoner Olympic Park die 30. Sommerspiele eröffnet werden, sind 10.500 Athleten sowie zahllose Betreuer und Funktionäre angereist. Team Austria wird mit 70 Sportlern vertreten sein. Die Medaillenhoffnungen sind bescheiden.
Der einflussreichste Vertreter Österreichs wird allerdings ohnehin abseits der Wettkampfstätten tätig sein: Der ehemalige Casino-Direktor Leo Wallner vertritt seit 1998 seine Heimat im Internationalen Olympischen Komitee (IOC), dessen 106 Mitglieder parallel zu den Spielen tagen. In dem obersten olympischen Gremium werden die zentralen Entscheidungen für das globale Großereignis getroffen: über Aufnahme oder Ausscheiden von Sportarten, Sponsoren und die Vergabe von Übertragungsrechten. Es sind meistens ältere Herren, oft Adelige, einige Ex-Sportler und nur wenige Frauen, die über die Zukunft der Spiele beraten.
Der 76-jährige Amstettner Wallner ist einer der wirkungsmächtigsten Delegierten. Er sitzt nämlich auch im obersten Kontrollorgan, in dem dreiköpfigen Audit Committee, das die finanziellen Gebarungen des IOC überwachen soll. Dort geht es um enorme Summen. Allein die Einnahmen aus den Londoner Spielen werden auf über drei Milliarden Euro geschätzt. Wallner sitzt an einem der bedeutendsten Schalthebeln des internationalen Sports.
An der Themse wird der einflussreiche Funktionär das Ungemach, das ihn in Österreich bedrängt, für eine Zeit vergessen können. Vor drei Jahren legte er nach 19-jähriger Tätigkeit seine Funktion als Präsident des Österreichischen Olympischen Comités (ÖOC) zurück. Nun wird er vom Comité unter seinem Nachfolger Karl Stoss auf 800.000 Euro Schadenersatz verklagt. In einem anderen Verfahren fand eine Richterin, er habe vor Gericht mehrfach die Unwahrheit gesagt. Und zuletzt musste er am 11. Juni bei seiner Anhörung vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss «aus gesundheitlichen Gründen« nach zehn Minuten und eigenartigen Antworten nach Hause entlassen werden. Wallner hätte dort erklären sollen, warum die Casinos Austria AG (Casag), die er von 1968 bis 2007 geleitet hatte, der im Eigentum des BZÖ stehenden Werbeagentur Orange 300.000 Euro aus ihrer Kasse zukommen ließ. Just in dem Augenblick, als ÖVP und BZÖ 2006 eine Glücksspielnovelle planten, welche die Geschäfte der Casag empfindlich gestört hätte.
Während der stets tadellos gekleidete Mann am Sportolymp IOC weiterhin unbegrenztes Vertrauen genießt, bröckelt daheim sein eigenes Denkmal, an dem er jahrzehntelang erfolgreich gearbeitet hatte.
Wallner war ein Monument des österreichischen Sports. Der frühere wirtschaftspolitische Berater von ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus saß als Generaldirektor der Casag und IÖC-Präsident an der Schnittstelle von Olympia-Gold und finanziellen Hochleistungsaktivitäten. Eine Verbindung, die vor allem für das Glücksspielunternehmen Vorteile brachte, wie der langjährige ÖOC-Generalsekretär Heinz Jungwirth nun behauptet. »Dr. Wallner wollte für die Casinos Austria International (CAI) Casinolizenzen in Australien … schließlich ist es gelungen, diese Lizenz zu erhalten«, erinnert sich Jungwirth in einer Beschuldigteneinvernahme gegenüber der Staatsanwaltschaft Salzburg an eines der Verknüpfungsgeschäfte. Wallners internationaler Casinodrang dürfte auch von Eigeninteresse geleitet sein: Er besaß damals Anteile an der CAI. »Als Gegengeschäft für die Lizenz in Down Under versprach Dr. Wallner als ÖOC für das australische olympische Komitee in Axams/Tirol ein Sporthotel zu kaufen«, so Jungwirth weiter: »In der Folge erwarb das ÖOC auf Anweisung von Dr. Wallner das Hotel Sonnpark in Axams … Da das Thema nicht über ÖOC-Konten abgewickelt werden sollte, wurde ich ersucht, über mein Privatkonto ›abzurechnen‹.«
Hintergrund der gewagten Konstruktion könnte das strenge Tiroler Grundverkehrsgesetz gewesen sein, das es ausländischen Staatsbürgern bis heute schwer macht, Grundstücke zu erwerben. »2001 war mir der ›Umweg‹ zu belastend und ich ersuchte Dr. Wallner, einen anderen Weg zu finden als mein Privatkonto.« Es war die Geburtsstunde des berüchtigten ÖOC-Geheimkontos Nummer 4293700 bei der Raiffeisenbank Niederösterreich-Wien, das, ebenso wie ein dazugehöriges Sparbuch, von Wallner und dem damaligen ÖOC-Kassier Lothar Scheer eröffnet wurde.
Schon im Jahr darauf wurde laut Jungwirth über dieses Konto der zehntägige Skiurlaub des weißrussischen Potentaten Alexander Lukaschenko samt Anhang in Tirol bezahlt. »Aus politischen Gründen wollte Dr. Wallner das nicht über die Casag verrechnen«, gab Jungwirth in seiner Einvernahme an: »Der Besuch der weißrussischen Delegation hatte mit dem ÖOC und seinen Aktivitäten überhaupt nichts zu tun.« Vielmehr dürfte der feuchtfröhliche Urlaub dazu gedient haben, Casinogeschäfte im scheindemokratischen Weißrussland anzubahnen. Um das damalige Kontaktverbot der EU mit dem Paria-Präsidenten zu umgehen, lud man den Mann mit dem Schnauzbart in seiner Funktion als Präsident des Olympischen Komitees Weißrusslands ein. 206.000 Euro kostete die Visite, inklusive eines Privatkonzerts von DJ Ötzi um mehr als 40.000 Euro und Skilehrerstunden für den Präsidenten. Die anschließende Bergung mit dem Notarzthubschrauber und Behandlungskosten bezahlte ebenso einstweilen das ÖOC. Aufklärungsbedürftig ist auch die Adresse der Rechnung. Sie wurde an das ÖOC zu Händen eines Herrn Gerhard Skoff gestellt. Der Mann hatte aber niemals eine Funktion im ÖOC, sondern war Direktor bei der Casino Austria AG.
»Ein als Verein getarnter Milliardenkonzern«
Die Ausgaben des ÖOC seien später abgedeckt worden, erläuterte Jungwirth. Wallner behauptet, ein Unternehmer sei letztlich für den Lukaschenko-Besuch aufgekommen. Namen will er keinen nennen. Ein Casino der Casag in Weißrussland gibt es bis heute nicht.
Das ÖOC bezahlte unter der Führung Wallners auch etlichen Funktionären Flug und Aufenthalt bei Olympischen Spielen. Einer der ausdauerndsten Olympiatouristen: Paul Schauer, Schwimmverbandspräsident und bis Mitte 2012 Geschäftsführer der Mediaagentur-Gruppe. Er ließ sich 2004, 2006 und 2008 einladen, einmal samt Begleitung. Praktischer Bezug zu Wallner: Mitinhaber der Mediaagentur sind mit 27 Prozent die Österreichischen Lotterien, die wiederum zu 68 Prozent der Casag gehören. Auch Friedrich Stickler sowie Bettina Glatz-Kremser, beide im Vorstand der Lotterien, wurden 2008 auf Kosten des ÖOC zu den Spielen nach Peking eingeladen. »Auf Wunsch von Dr. Wallner«, wie Ex-ÖOC-General Jungwirth eidesstattlich betont.
Wallner will sich heute daran nicht erinnern. 2009 wurde die Existenz von Sparbuch und Geheimkonto des ÖOC bekannt. Externe Wirtschaftsprüfer hatten die Bilanzen geprüft und waren auf Widersprüche gestoßen. Wallner zeigte sich enttäuscht über seinen Generalsekretär. Er habe nichts von dessen Finanzgebarung gewusst. Jungwirth hingegen behauptet: »Ich hätte Dr. Wallner immer alles, was er mir mündlich aufgetragen hat, unterschreiben lassen müssen.« Dass das Geheimkonto nicht in der ÖOC-Buchhaltung auftaucht, sei ihm deshalb nicht aufgefallen, da er sich nicht um Details gekümmert habe, meinte Wallner im Mai, als er als Zeuge in einem Untreue-Prozess gegen Jungwirth einvernommen wurde, dem vorgeworfen wird, 2,7 Millionen Euro von dem Geheimkonto für private Zwecke abgezweigt zu haben. Der Prozess ist noch im Gang. Der Kassier des ÖOC, Gottfried Forsthuber, sieht das anders als Wallner: »Heute weiß ich, dass beginnend mit 2001 bis 2008 Präsident Dr. Leo Wallner … bei den entsprechenden Sitzungen des Vorstands des ÖOC den Anwesenden den Bestand dieses Kontos verschwiegen hat. Er wusste von dem Geheimkonto … das Schwarzgeldkonto hatte er zu keinem Zeitpunkt erwähnt«, gibt der Rechtsanwalt in einer eidesstattlichen Erklärung an.
Das Geheimkonto wird Wallner noch länger beschäftigen, denn parallel zum Jungwirth-Prozess hat das ÖOC seinen Ex-Chef Wallner auf Schadenersatz eben wegen jenem Geheimkonto geklagt. 800.000 Euro fordern die Olympier. Besonders pikant daran: Wallner sitzt als IOC-Mitglied automatisch im Vorstand des ÖOC und trifft damit regelmäßig mit seinen Klägern zusammen. Die Vorstandssitzungen sollen seit einiger Zeit unterkühlt ablaufen.
Am lästigsten dürfte Wallner aber Erwin Roth fallen. Der international tätige Unternehmens- und Strategieberater aus Salzburg war von Wallner beauftragt worden, die Bewerbung Salzburgs als Austragungsort für die Olympischen Winterspiele 2014 beratend zu betreuen. Es galt, bei den IOC-Mitgliedern aus aller Welt »guten Wind» für die Festspielstadt zu machen. Wie ein Elch dem Langläufer stand aber der Bewerbung Walter Mayer im Weg. Der streitbare Ex-Langlauftrainer und wegen Dopings verurteilte ehemalige Funktionär des Skiverbandes, hatte den obersten Olympiachef Jacques Rogge höchstpersönlich geklagt – und zwar wegen übler Nachrede, weil Rogge nach einer legendären Doping-Razzia in der Unterkunft der österreichischen Langläufer und Biathleten behauptet hatte: »Für mich ist Walter Mayer der Mann, der Doping organisiert.«
Um das Problem aus dem Weg zu räumen, hätten Wallner, Jungwirth und Roth im Februar 2007 in trauter Runde beschlossen, den klammen Mayer mithilfe von 290.000 Euro davon zu überzeugen, seine Anzeige zurückzuziehen – das behaupten zumindest Roth und Jungwirth. Wallner will heute davon nichts wissen. Das Kalkül ging auf: Mayer nahm die 290.000 Euro, die Roth ausgelegt hatte – offiziell als Vergütung für die medialen Verwertungsrechte seiner Erfahrungen. Der Weg für Olympia in Salzburg 2014 war frei – bis zum Juli 2007. Da wurde das russische Sotschi von den IOC-Mitgliedern zur Olympiastadt gewählt.
Roth verlangte nun das Geld, das er für Mayer und diverse Vorarbeiten vorgeschossen hatte, vom ÖOC zurück und biss damit bei Wallner – der ja nach seiner Darstellung den Deal mit Jungwirth und Roth nicht mitbeschlossen hatte – auf Granit. Der neue ÖOC-Chef Stoss fühlte sich auch nicht zuständig und verwies auf seinen Vorgänger. Der kommt nun in dieser Causa immer mehr unter Druck. »Dr. Wallner erklärte mir, dass er die Verbindlichkeiten gegenüber Erwin Roth regeln werde«, meinte hingegen ÖOC-Kassier Gottfried Forsthuber in einer eidesstattlichen Erklärung. Was Wallner aber nicht tat, daher klagte Roth das Geld bei Wallner ein. In einem erstinstanzlichen Urteil bescheinigt die Richterin Wallner, einen »erstaunlich unglaubwürdigen Eindruck« hinterlassen zu haben: Er habe wiederholt »die Unwahrheit gesagt«. Das Verfahren läuft bis heute.
»Das IOC ist ein als Verein getarnter internationaler Milliardenkonzern«, meint der Sportveranstaltungsstratege Roth. Immer wieder werden Geldzahlungen an IOC-Mitglieder publik, nicht zuletzt um deren Abstimmungsverhalten zu manipulieren. Wallners Ex-Geschäftspartner aus dem australischen Olympia-Komitee, John Coates, musste zum Beispiel 1999 eingestehen, die Spiele in Sydney durch Zahlungen an IOC-Mitglieder gekauft zu haben. Das Audit-Committee hat bislang noch nie Licht in diesen trüben Machenschaften gebracht. Ganz im Gegenteil: Mehrere Mitglieder des IOC stehen gegenwärtig im Verdacht, Bestechungsgelder der Marketingfirma ISL angenommen zu haben. Anfang Juli bestätigte das Schweizer Bundesgericht, dass diese Firma 140 Millionen Franken an Bestechungsgelder an bislang unbekannte Sportfunktionäre bezahlt hat. Das IOC stellt sich lieber tot. »Das ist nicht unsere Angelegenheit, aber wir beobachten die Ereignisse«, erklärt ein Sprecher im IOC-Hauptquartier in Lausanne.
In Österreich wird Wallners Wirken kaum kritisch durchleuchtet. Die Casinos Austria haben den öffentlich-rechtlichen ORF mit sechs Prozent an ihrer Tochterfirma Lotterien beteiligt, und auch mit dem Verband Österreichischer Zeitungen VÖZ ist die Casag vertraglich verbunden.
Wallner sitzt übrigens auch in der Ethik-Kommission des IOC. Sie soll über die olympischen Tugenden von Fairness und Integrität wachen. Bis Leo Wallner in vier Jahren altersbedingt aus dem IOC ausscheiden muss, will er sich diesen Aufgaben widmen. Dabei zu sein ist ja bekanntlich alles.
Dieser Artikel stammt aus der ZEIT, Österreich Ausgabe 31/2012 vom 6. Juli 2012.
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