Der stille Reiz des Blutdopings

Von Gerd Millmann

Quelle: DIE ZEIT, 24.01.2008 Nr. 05

Sportler benötigen Muskeln, die bei Belastung gut mit Sauerstoff versorgt sind, um durch Verbrennen von Glukose und Fettsäuren Energie gewinnen zu können. Die notwendige Versorgung mit Sauerstoff übernehmen rote Blutkörperchen (Erythrozyten) als Spediteure. Ist die Sauerstoffzufuhr unzureichend, muss die Energie vom Körper sauerstofflos (anaerob) produziert werden. Dabei entsteht Milchsäure, der Laktatwert steigt, eine Übersäuerung des Körpers ist die Folge. Koordinative Fähigkeiten nehmen rasch ab, Erschöpfung tritt ein. Ein Schwimmer kämpft dann mehr gegen das Ertrinken als gegen die Zeit. Ein Skiläufer kann am Ende einer kräfteraubenden Abfahrt keinen Druck mehr auf die Bretter bringen. Und ein Langläufer muss auf der letzten Steigung Tempo rausnehmen.

Im Spitzensport gilt daher der Grundsatz: Je mehr rote Blutkörperchen ein Athlet besitzt, desto besser. Also probieren Sportler alle möglichen Tricks aus, um die Zahl der Erythrozyten in ihrem Blut zu steigern. Die legale Möglichkeit heißt Höhentraining. Wird der Körper in Höhen um 2000 Meter (St. Moritz  wirbt damit) ausdauernd belastet, passt er sich an die dünne Luft an. Er bildet nach etwa zwei Wochen neue und mehr rote Blutkörperchen. Steigt der Athlet nach drei, vier Wochen Aufenthalt wieder ins Tal hinab zum Wettkampf, sorgt sein gesteigerter Vorrat an roten Blutkörperchen für starke Wettkampfleistungen.

Immer beliebter wird auch die simulierte Höhenlage. Sportler trainieren dabei in Räumen, deren Luftdruck dem in einer Höhe von 2.000 bis 4.500 Metern entspricht. Manche übernachten auch regelmäßig in derartigen Räumen. Diese Methode ist zwar umstritten, verstößt aber grundsätzlich nicht gegen die Regeln der Weltantidopingagentur WADA. Nicht erlaubt ist hingegen der Einsatz von Epo (Erythropoietin). Dieses Hormon fördert die Bildung von roten Blutkörperchen. Epo war in den neunziger Jahren sehr beliebt, weil damals noch nicht nachweisbar. Heute ist es im Spitzensport aus der Mode gekommen, da seit dem Jahr 2.000 Epo-Doper mit Hilfe von Labortests überführt werden können. Ein Test kostet dabei etwa 300 Euro.

Daher kehrte eine andere verbotene Dopingpraxis zurück, die schon in den siebziger Jahren vor allem in der DDR kultiviert worden war. Beim Blutdoping wird mit roten Blutkörperchen angereichertes Blut gespritzt. Wird dabei Fremdblut eingesetzt, kann die Manipulation leicht nachgewiesen werden. Also setzen Sportler auf Eigenblutdoping. Sie gehen zu einem verschwiegenen Arzt – sagen wir, nach Wien. Dort lassen sie sich Blut abzapfen, das anschließend zentrifugiert, mit Gerinnungshemmern versetzt und tiefgekühlt wird. Wie eine Tiefkühlpizza wird dieses manipulierte Eigenblut dann bei Hunger nach sportlichen Erfolgen aufgetaut, gegebenenfalls zum Abtöten von Keimen UV-bestrahlt und dem Sportler injiziert.

Die Wirkung ist beachtlich. Weltklasseläufer mit einer Zeit von etwa 28 Minuten über 10.000 Meter laufen um etwa 20 Sekunden schneller, schätzt Wilhelm Schänzer, Leiter des Instituts für Biochemie an der Sporthochschule Köln. Mit zehn Prozent Leistungssteigerung rechneten geständige Radprofis. Das bedeutet, mit 22 statt mit 20 Stundenkilometern durch die Serpentinen zur Bergankunft zu stampfen. Im Leistungssport bedeutet das einen gewaltigen Vorsprung. Der sportliche Höhenrausch eines Gedopten hält vier Wochen an. Erst dann hat sich die Zahl der roten Blutkörperchen wieder normalisiert.

Bislang ist diese Methode bei Tests nur schwer nachweisbar. Allein regelmäßige Untersuchungen der Hämoglobinwerte des Blutes, bei denen Abweichungen sofort manifest würden, ergäben eine wirkungsvolle Kontrolle.

Dieser Artikel stammt aus DIE ZEIT, Österreich Ausgabe 5/2008 vom 24.01.2008.