Haben auch deutsche Sportler in einem Wiener Labor gedopt? Laxe Gesetze und Behörden machen den Betrug in Österreich leicht

Von Gerd Millmann

Quelle: DIE ZEIT Nr. 05/2008 vom 24. Januar 2008.

Es gibt schönere Orte in Wien. Die Gegend um den Franz-Josefs-Bahnhof ist in keinem Reiseführer verzeichnet. Schräg gegenüber dem Knotenpunkt für den Regionalverkehr hat sich eine Zweigstelle des Blutspendeunternehmens Humanplasma, einer Gruppe mit Filialen in Deutschland und Österreich, niedergelassen. Im Erdgeschoss des fünfstöckigen Gebäudes befindet sich ein Billigsupermarkt, ein paar Etagen höher die Sozialbehörde. Im Dachgeschoss des Hauses mit verwitterter Aluminiumfassade lassen sich Freiwillige Blut abzapfen, pro Spende bekommen sie 18 Euro. In dieses unwirtliche Viertel sollen seit Jahren an ruhigen Sonntagmorgen Spitzensportler aus Deutschland, Österreich und ganz Europa gepilgert sein, um mit systematischem Blutdoping ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Seit zwei Monaten haben nun internationale Dopingfahnder die Adresse in der Alserbachstraße im Visier.

Der Kanadier Dick Pound war der Erste, der den Namen des Instituts ins Spiel brachte. »Wir haben aus verlässlichen Quellen gehört, dass eine Firma namens Humanplasma in Wien operiert«, schrieb Pound, damals noch Vorsitzender der Weltantidoping-Agentur WADA, am 23. November 2007 an den österreichischen Sport-Staatssekretär Reinhold Lopatka. »Es gibt gute Gründe zu glauben, dass diese Firma teilweise Athleten bei Blutdoping unterstützt.« Pound bat daher um Untersuchungen durch die österreichischen Behörden.

Der WADA-Chef reagierte mit seinem Brief auf einen Bericht auf den Österreich-Seiten der ZEIT, der tags zuvor erschienen war. Darin hatte der österreichische Dopingjäger Arnold Riebenbauer behauptet: »Die Spur führt zu einer Blutbank in Wien.« Riebenbauer, von Beruf Richter in Kärnten, hatte jene Kommission geleitet, die im Auftrag des Österreichischen Skiverbands (ÖSV) die peinliche Turin-Affäre aufklären sollte. Während der Olympischen Winterspiele von Turin war 2006 die Unterkunft der österreichischen Langläufer und Biathleten bei einer überraschenden Razzia gefilzt worden. Dabei waren den Carabinieri zahlreiche Dopingutensilien wie Blutbeutel, ein Hämoglobinmessgerät, eine UV-Lampe und Spritzen in die Hände gefallen. Einige der beschlagnahmten Spezialbehälter für Blutplasma konnten aufgrund ihrer Produktionsnummern Humanplasma in Wien zugeordnet werden.

Im Zuge seiner Ermittlungen flog Riebenbauer auch nach Italien. Er habe sowohl dort als auch von einem »Insider aus Wien« umfangreiche Informationen über die Details des österreichischen Dopingsystems erhalten. Dabei sei er auf die Namen deutscher und österreichischer Winter- wie Sommersportler sowie anderer nichtösterreichischer Athleten gestoßen, erzählt Riebenbauer. »Es ist ja schon bezeichnend, dass das deutsche Team 35 Tonnen an medizinischem Material nach Turin mitgenommen hat«, meint der Jurist, der seine Vorwürfe vorsichtig formulieren muss, solange er über keine konkreten Beweise verfügt.

Deutlicher äußerte sich der Schwede Bengt Saltin, bis 2006 Chef der medizinischen Kommission des Internationalen Skiverbands FIS, im schwedischen Fernsehen: Er wisse von Biathleten, die in Blutmanipulationen in österreichischen Labors verwickelt seien.

Namen von Athleten, die in den Wiener Blutskandal verstrickt sein könnten, will oder kann keiner der Fahnder bisher nennen. Erst vergangene Woche zog die ARD Anschuldigungen gegen vier Radrennfahrer und deutsche Skisportler wieder zurück. Die internationale Dopingszene bedient sich verschwiegener Netzwerke. Konkrete Beweise sind rar. Daher müssen sich Dopingjäger in detektivischer Kleinarbeit an die Vergehen der Sportler herantasten. Doch immer mehr Puzzleteile, anonyme Aussagen und Indizien scheinen die Gerüchte zu bestätigen: Europäische Spitzenathleten schlüpften regelmäßig an stillen Sonntagvormittagen durch das schäbige Portal des Wiener Blutlabors, um sich von einem Arzt ihres Vertrauens Blut abzapfen oder zuführen zu lassen.

Aber warum gerade Wien? »Weil Doping in Österreich nicht unter das Strafrecht fällt. Das hat auch meine Ermittlungen behindert, weil alle Zeugen nur auf freiwilliger Basis zu Aussagen herangezogen werden konnten«, kritisiert Richter Arnold Riebenbauer. Daran ändert auch ein neues, strengeres Antidopinggesetz nichts, das seit Anfang 2008 in Kraft ist. Es war schnell verabschiedet worden, nachdem österreichischen Skisportlern nach der Turin-Affäre eine Olympiasperre angedroht worden war, falls das Land nichts unternähme. Das Gesetz enthält jedoch lediglich Minimalstandards. »Ein Profisportler kann sich neben einem Polizisten Epo injizieren, und der kann nichts dagegen tun«, sagt Hans Holdhaus, der als Leistungsdiagnostiker an der Universität Wien Trainingspläne ausarbeitet.

Auch das österreichische Arzneimittelrecht ist im Unterschied zum deutschen weitgehend zahnlos. Erst vor Kurzem musste das österreichische Innenministerium auf eine parlamentarische Anfrage hin einräumen, dass ein Niederländer, in dessen Auto bei einer Fahndung in Tirol 89.000 Ampullen anabole Steroide gefunden wurden, seine Fahrt in die Heimat fortsetzen durfte. Es reichte die Auskunft: »Für den Eigengebrauch.« Strafbar macht sich in Österreich nur, wer Pharmazeutika »in Verkehr bringt« oder damit Schwarzhandel betreibt. Bezeichnend auch: Seit dem Jahr 2002 wurde in Österreich kein einziges Fitnessstudio auf verbotene Substanzen kontrolliert. Kein Wunder, dass dort rege diverse Dopingmittel unter der Hand verschoben werden.

Aber nicht nur die laxen Gesetze sind dafür verantwortlich, dass sich Österreich in ein »Dopingparadies« verwandelt hat, wie die ehemalige Schwimmeuropameisterin Vera Lischka es nennt. Schuld daran sind auch Sportverbände und Behörden, die sich sträuben, gegen Dopingsünder entschlossen vorzugehen. »Ja, dieses Blutdopinglabor kenne ich schon lange. Da sind alle hingegangen«, sagt ein ehemaliges Regierungsmitglied, das bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt vor einem Jahr eigentlich für effiziente Dopingkontrollen zuständig gewesen wäre.

In der Sportszene war die Wiener Filiale von Humanplasma offensichtlich gut bekannt. Ein aktiver Schwimmer zum Beispiel erzählt in einem vertraulichen Gespräch, sein Chiropraktiker habe ihm das Blutlabor empfohlen. Mit der dort angewendeten Methode könne er seine Leistung um zehn Prozent steigern. Die Therapie in dem verschwiegenen Labor sei ihm aber zu teuer gewesen, sagt der Sportler. Kenner schätzen die Kosten für eine zweijährige Betreuung auf 30.000 Euro. Leisten kann sich diese Behandlung nicht jeder. Da muss schon – wissentlich oder nicht – ein finanzkräftiger Verband oder Sponsor dahinterstehen.

Angst vor Dopingkontrollen braucht aber in Österreich offensichtlich niemand zu haben. »Die WADA testet die Sportler immer in der Woche vor den großen Wettkämpfen. Das ist absolut vorhersehbar«, kritisiert Robert Michlmayr, Schwimmtrainer im Leistungszentrum Südstadt. Auch österreichische Tester werden nur rund um große Wettkämpfe aktiv. Die Zeiträume, in denen Athleten relativ gefahrlos die Hilfe verbotener Zaubermittel in Anspruch nehmen können, sind dementsprechend lang.

»Hätte es funktionierende Kontrollen gegeben, dann hätte sich Österreich den Turin-Skandal erspart«, sagt Christoph Schuh, Sportreferent im Wiener Kanzleramt. Erst jetzt ermöglicht es das neue Dopinggesetz zum Beispiel, dass Heeressportler, zu denen viele Leistungsträger gerade in den nordischen Disziplinen gehören, in ihren Kasernen und Trainingsstützpunkten getestet werden können. Bislang waren die militärischen Einrichtungen für Dopingjäger tabu.

Noch bestreitet das Blutlabor von Humanplasma in der Alserbachstraße die Anschuldigungen energisch. Man verfüge gar nicht über Geräte für die Plasmawäsche, hatte anfangs der Geschäftsführer und ärztliche Leiter Lothar Baumgartner vorschnell behauptet. Tags darauf musste er aber einräumen, dass die betreffende Laboreinrichtung sehr wohl vorhanden sei.

Klärung könnten Ermittlungen der Behörden bringen. Die österreichische Staatsanwaltschaft erfüllt aber nur im Zuge von Rechtshilfeersuchen die Wünsche der italienischen Justiz, die weiter an der Turin-Affäre arbeitet. Denn in Italien wird Doping strafrechtlich geahndet. Das deutsche Bundeskriminalamt steht Gewehr bei Fuß. Es könnte unter Berufung auf das Arzneimittelgesetz ebenfalls die österreichischen Behörden um Rechtshilfe ersuchen, wenn konkrete Verdachtsmomente vorliegen, dass deutsche Sportler in Österreich gedopt haben. Das ist bisher aufgrund fehlender Zeugenaussagen oder schriftlicher Indizien jedoch nicht der Fall.

Die österreichischen Behörden wiederum werden von sich aus nicht aktiv. Die Motive dafür sind unklar. Denn auch Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky könnte wegen des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz nach Paragraf 84a die Staatsanwaltschaft einschalten. Das Gesundheitsministerium ist die kontrollierende Behörde des Blutlabors. »Bekomme ich den Auftrag von der Staatsanwaltschaft, wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz zu ermitteln, dann befrage ich alle Personen, die darüber Bescheid wissen könnten. Bei Falschaussage droht ihnen Haft«, sagt ein Wiener Polizist, der lieber anonym bleiben will. Doch ohne Auftrag keine Vernehmung.

Rätselhaft ist vorläufig auch das Verhalten des einflussreichen deutschen IOC-Vizepräsidenten Thomas Bach. Er hatte von dem österreichischen Dopingfahnder Riebenbauer schon vor Monaten alle Informationen und Hinweise erhalten. Er hat auch den Bericht der italienischen Justiz eingesehen. Warum ist Bach niemals der Frage nachgegangen, wessen Blut es ist, das in einer bei der Turiner Razzia beschlagnahmten Infusionsnadel gefunden wurde? Fest steht nach DNA-Analysen: Es stammt von keinem österreichischen Olympioniken. Fest steht auch: Bachs Chancen, IOC-Präsident zu werden, sind höher, wenn er sein Wissen für sich behält.

Dieser Artikel stammt aus DIE ZEIT, Österreich Ausgabe 05/2008 vom 24. Januar 2008.