Durch Wien verlaufen mehr Grenzen als gedacht: natürliche, politische und selbst ernannte. Bezirke werden aus vielen Gründen einmal ein bisschen kleiner oder größer.

Von Gerd Millmann

Dieser Artikel  erschien am 6. 8. 2013 in der Wiener Zeitung.

(Wien) Favoriten wird kleiner – oder größer. Jedenfalls wird die Grenze zum Nachbarbezirk Landstraße neu gezogen. Und das kam so: Der neue Hauptbahnhof Wien grenzt an fünf Bezirke, dem 3., 4., 5., 10. und 12. Die Arsenalstraße trennt den 3. vom 10. Bezirk – bisher, denn sie ist im Zuge des Bahnhof-Baus verlegt worden.

„Die Bezirke verhandeln derzeit miteinander“, sagt Wolfgang Wild, Kanzleileiter der Bezirksvorstehung Landstraße. Ziel ist es, dass die Bezirksgrenze nicht durch ein Betriebsgelände geht, wodurch für einen Betrieb zwei unterschiedliche Bezirksbehörden zuständig wären. Wichtig ist die Größe eines Bezirks fast ausschließlich aus Imagegründen, auf finanzielle Dotierungen haben so kleine Veränderungen keinen Einfluss. Die beiden Bezirksparlamente müssen die neuen Grenzen beschließen, anschließend stimmt der Gemeinderat ab – der meistens nichts dagegen hat.

Die Frage, auf welcher Seite der Bezirksgrenze man lebt, ist vielen Wienern wichtig. „Das war in Hernals, nicht in Ottakring“, ärgert sich Herr Stumpf nicht zum ersten Mal. Wieder einmal war es in der Ottakringer Straße in einem Lokal zu einem Überfall gekommen und der Boulevard hat den Bezirksgrenzverlauf entlang besagter Straße ignoriert und von „Ottakringer Verhältnissen“ geschrieben. „Es war aber auf der Hernalser Seite, die ist ja auch viel schlimmer“, betont Herr Stumpf und nimmt einen kräftigen Schluck vom Sommerspritzer. Seine Lokalkollegen nicken zustimmend. So wie hier in einem verrauchten Lokal in – natürlich Ottakring – legen Lokalpatrioten großen Wert auf Bezirksgrenzen. Darum hüten sich Bezirkspolitiker auch, diese Grenzen anzutasten. Außer es muss sein. 2012 hat der Wiener Landtag den Wiedener Teil des Naschmarkts zwecks einfacherer Verwaltung dem Bezirk Mariahilf zugesprochen. Dafür hat Wieden einen Teil des Resselparks bekommen – gegen erbitterten Widerstand der City-Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel übrigens. Einfacher war da schon die Grenzverschiebung in der Leopoldstadt im Jahr 2011. Der Wiener Hafen wurde auf Kosten der Wasserfläche vergrößert.

Krähengrenze durch Wien

Andere Grenzen der Stadt sind weniger emotional aufgeladen, weil unbekannt. Zum Beispiel Grenzen der Vogelwelt. „Durch Wien verläuft die Grenze des Verbreitungsgebiets von Nebelkrähen und Aaskrähen“, erklärt Gabor Wichmann, Experte von Birdlife Austria, der Gesellschaft für Vogelkunde. Diese Grenze wird immer wieder überflogen und es kommt zu Paarungen dieser unterschiedlichen Krähenarten. Die Folge: Im Stadtgebiet krächzen Aaskrähen mit hellen und Nebelkrähen mit dunklen Brustfedern.

Dieser Artikel  erschien am 6. 8. 2013 in der Wiener Zeitung.