Die Sportförderung ist zu kompliziert und ineffizient. Doch anstatt das System zu reformieren, wird nun noch mehr Geld verteilt. Eine neue Analyse
Von Gerd Millmann
Erschienen in DIE ZEIT Nr. 42/2013 vom 10. Oktober 2013
Der Jammer war groß, als Österreichs Athleten vergangenes Jahr von den Olympischen Sommerspielen aus London heimkehrten. Zum ersten Mal seit 1964 hatten sie keine Medaille nach Hause gebracht. Doch auch die errungenen Titel der Vergangenheit, in deren Glanz sich Politiker und Funktionäre gerne sonnten, waren eher das Verdienst von Einzelkämpfern als das Ergebnis gezielter Sportförderung. Nur wenn ausufernde Bürokratie, Parallelstrukturen und der damit verbundene parteipolitische Filz olympisch wären, hätte Österreich seine Medaillen auch im Sommer sicher. Also wurde Peter Schröcksnadel, der Präsident des erfolgreichen Skiverbands ÖSV, zu Hilfe gerufen.
Im September diagnostizierte der Herr des Wintersports das heimische Dilemma: „Andere kleine Länder, Kroatien oder Ungarn, machen bei Sommerspielen immer Medaillen. Dabei haben die viel weniger Geld für den Sport als wir.“
Schröcksnadels Rezept: noch mehr Geld für den heimischen Sport. Die Protagonisten alter Strukturen sind nicht bereit, das verkrustete System aufzubrechen, in dem sie es sich gemütlich eingerichtet haben. Statt die Architektur des athletischen Betriebs zu analysieren und olympiafit zu machen, wurde bloß dem barocken Sportdom ein neues Türmchen aufgesetzt.
Rio 2016 nennt sich der zwanzig Millionen Euro schwere Topf, mithilfe dessen Österreichs beste Sommersportler in Olympiasieger verwandelt werden sollen. Zusätzlich zu den 130 Millionen Euro, die jährlich auf Bundesebene für den gesamten Sport ausgeschüttet werden. „Ich rechne dadurch mit drei bis fünf Medaillen bei den Olympischen Sommerspielen in Rio“, gibt sich Schröcksnadel optimistisch. 47 handverlesene Einzelsportler und sieben Nationalteams werden zu diesem Zweck mit Geld überschüttet. Die Mittel stammen aus dem Budget des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport. Ein Dreierkomitee lotet aus, wer wie viel erhält. Der 72-jährige Schröcksnadel ist als Vierter im Bunde Chefentscheider des Gremiums.
Der Tiroler Alpenkaiser herrscht nicht nur über den erfolgreichsten Sportverband des Landes – den ÖSV. Ohne ihn geht im gesamten Wintersport nichts. Er dominiert ein Wirtschaftsimperium aus Skigebieten, Bergbahngesellschaften und Event-Organisationen. Und er trifft die Entscheidungen im Austria Ski Pool, in dem sich große Unternehmen einfinden, die mit den Ski-Idolen werben wollen. Jetzt hat diese Symbolfigur des funktionärskontrollierten Sports auch im bislang Schröcksnadel-freien Sommersport das große Sagen.
„Da wünsche ich ihm viel Glück bei der Expertise zu modernem Fünfkampf oder Rhythmischer Gymnastik“, sagt der Generalsekretär des Radsportverbands, Rudolf Massak zum neuen Aufgabenbereich des Skipräsidenten. Ähnlich skeptisch ist Wolfgang Konrad, einst Weltklasse-Hindernisläufer und langjähriger Organisator des Vienna City Marathons: „Warum hat Österreich eigentlich bei den alpinen Skibewerben der Winterspiele 2010 nur noch 60 Prozent der Medaillen des Jahres 2006 gemacht, wenn Herr Schröcksnadel doch ach so kompetent ist?“
Peter Schröcksnadel ist für viele der Sport-Nikolo mit dem Füllsack
Andernorts wird Schröcksnadels Engagement positiv aufgenommen, er sei der „Wunderwuzzi“ des Sommersports. Verbandspräsidenten und Sportler klatschen Beifall zu seiner Installierung als Sport-Nikolo mit dem Füllsack. Es gibt aber auch Sportler, die das anders sehen und trotzdem nichts sagen. „Kein Wunder, schließlich entscheidet der Mann darüber, ob und wie viel Geld ich bekomme„, meint ein geförderter Olympiasportler. „Ich bin doch nicht blöd und kritisiere den.“
Für Konrad ist klar, warum nach dem Olympiadebakel von London nicht nach den tieferliegenden Ursachen gesucht wurde: „Weil dieselben Leute, die seit Jahrzehnten im Sport entscheiden, sich nicht selbst als Schuldige ausmachen wollen.“
Die Fördergelder werden im Spannungsfeld zwischen Spitzen- und Breitensport vergeben. Österreich leistet sich drei bundesweite Dachverbände für die Vereine: Die Sportunion, die Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich (ASKÖ) und den Allgemeinen Sportverband Österreichs (ASVÖ). Sie vertreten mehr als drei Millionen Mitglieder – und sind bis auf den weitgehend parteifreien ASVÖ parteipolitisch eindeutig zuordenbar.
Der Präsident des ASKÖ ist Peter Wittmann, Nationalratsabgeordneter der SPÖ. Der Union steht Peter Haubner vor, der für die ÖVP im Parlament sitzt. Diese Dachverbände haben jeweils neun Landesverbände – ebenfalls parteipolitisch besetzt. Dazu kommen an die 100 Fachverbände, zum Beispiel der Fußballverband oder der Tischtennisverband. Auch sie haben jeweils neun Landesfachverbände. Über alldem thront als Sahnehäubchen die Bundessportorganisation BSO, in der 67 Sportarten samt der drei Dachverbände vertreten sind – sowie das Österreichische Olympische Komitee (ÖOC), in dem ebenfalls die Fachverbände entscheiden. Sie sind auch bei der Österreichischen Sporthilfe mit von der Partie. Dazu kommt, dass der BSO-Präsident traditionell ein Roter und der ÖOC-Präsident stets ein Schwarzer sein muss. Die Stellvertreter sind selbstredend der anderen Coleur zugehörig. Dieses selbstreferenzielle System hat sich im Lauf von Jahrzehnten einzementiert.
Unzählige Parallelstrukturen und Kompetenzüberschneidungen prägen die Organisation des Sports. So gibt es für Spitzensportler mehrere Förderschienen: Das Team Rot-Weiß-Rot, die Sporthilfe, das Projekt Rio 2016 sowie den Heeressport auf Bundesebene. Dazu kommen Landes- und Gemeindeförderungen. Einkommensgrenzen gibt es keine. Deshalb bekommt der Skiprofi Marcel Hirscher trotz potenter Sponsoren genauso Förderungen wie zum Beispiel ansonsten mittellose Ruderer. Für Außenstehende mutet dieses Mobile befremdend an.
Trotz Topleistungen werden manche Sportler nicht vom Heer gefördert
„Das System ist ungerecht“, sagt Günther Matzinger. Im August gewann der 26-Jährige die Staatsmeisterschaften im 800-Meter-Lauf. Mit seiner Bestzeit stünde ihm ein Platz als Heeressportler zu, und damit ein gesichertes Einkommen. Schließlich fördert das Bundesheer auf diese Weise derzeit 192 Sommer- und Wintersportler. Doch Matzinger fehlt der rechte Unterarm: Er ist untauglich. Dem Doppelsieger der Paralympics 2012 in London ist dadurch der Weg zum staatlich geförderten Sportprofi verbaut – genau wie dem wegen einer Lungenkrankheit in der Kindheit untauglichen Weltrekordschwimmer Markus Rogan oder jenen Athleten, die aus Gewissensgründen einen Zivildienst statt des Wehrdienstes leisten. Matzinger findet, dass Profisportler vom Gesundheitsministerium gefördert werden sollten: „Schließlich ist es egal, wer das Steuergeld ausbezahlt.“
Der Rechnungshof nahm die Sportförderung bereits zweimal unter die Lupe und kritisierte vor allem, dass Funktionäre über Förderungen entscheiden, die ihren eigenen Verbänden zugutekommen. „Wir haben hier die Sozialpartnerschaft der Sechzigerjahre, allerdings nur deren Nachteile“, schüttelt ein hoher Sportfunktionär den Kopf. Der Effekt: Von den insgesamt 80 Millionen Euro an besonderer Sportförderung, die der Bund jedes Jahr für den Spitzensport vorsieht, landen nur 20 Millionen bei den 60 Fachverbänden, die damit ihre Fachtrainer bezahlen sollen. Der Rest versickert in Verwaltung, unkoordinierten PR-Maßnahmen und Wohlfühl- und Jubelveranstaltungen der alimentierten Verbände.
Beispielhaft für die Ineffizienz im Sport ist das Mentoring-Programm der Sporthilfe. Mit jeweils 5.000 Euro fördern Prominente ausgewählte Sportler. Die wiederum erhalten davon nur 3.000 Euro, der Rest geht an die Sporthilfe.
Und wehe dem, der die gewachsene Ordnung stört. Als Sportminister der SPÖ verstieg sich Norbert Darabos 2007 zu der Forderung, BSO und ÖOC nach deutschem Vorbild einfach zusammenzulegen, schließlich fungiert das Olympische Komitee ohnedies vornehmlich als Reiseveranstalter für die österreichischen Olympioniken. Doch dem Minister wurde von schwarzer wie von der eigenen roten Sportreichshälfte gehörig der Marsch geblasen. Beide Parteien liefen Gefahr, ihr Sportspielzeug zu verlieren.
In der Praxis sind nicht alle Sportler gleich, von den Vereinen ganz zu schweigen. Der SK Rapid zum Beispiel wird kräftig von der Stadt Wien gefördert. Kein Wunder, ist der Kickerclub doch für Zigtausende Fans Religion. Könnte nicht das eine Möglichkeit zum Einsparen von Steuergeld bieten, die offizielle Anerkennung Rapids als Religionsgemeinschaft? Rapid wäre dann Unterrichtsfach, könnte Schulen etablieren, wäre von der Grundsteuer befreit, und – am wichtigsten: Kein Fan der Wiener Austria dürfte Rapid-Angehörige öffentlich insultieren. Das wäre eine strafbare Herabwürdigung einer religiösen Lehre. Das Kultusamt bestätigt, dass Rapid sämtliche Kriterien erfüllt: Tradition, Mitglieder, religiöser Zweck … Einzig beim Thema Transzendenz, also dem Glauben an eine überirdische Macht, zögern die Beamten. Ein Ausweg wäre, Rapids Glaube an eine Champions-League-Teilnahme als transzendente Wunschvorstellung einzustufen. Davon will freilich die Vereinsführung von Rapid nichts wissen.
Bleibt nur, mit gutem Glauben weiterzumachen. Und darauf zu hoffen, dass die „tägliche Turnstunde“ bessere Fußballer hervorbringt – und den einen oder anderen Medaillengewinner im Sommersport. Die Forderung nach einer täglichen Sporteinheit war die einzige konkrete Maßnahme, die von allen Spitzensportfunktionären nach der Medaillenpleite von London vorgebracht worden war. Wenn Kinder täglich turnen, könnte es natürlich auch sein, dass sie am Abend nur noch wenig Lust zum Besuch eines Sportvereins verspüren. Dann wäre zumindest der Volksgesundheit gedient. Das ist ja immerhin etwas.
Dieser Artikel stammt aus der ZEIT, Österreich Ausgabe 42/2013 vom 10. Oktober 2013.
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