Ein einst ausgerottetes Wildtier erobert die Großstadt. Jedes Jahr holzen Biber entlang den Wasserflächen in Wien ein kleines Waldstück ab
Von Gerd Millmann
Quelle: DIE ZEIT, Nr. 36/2008 vom 28.08.2008
Adolf Krenner liebt die Nähe zur Natur. Er findet sie mitten in der Großstadt in einem kleinen Häuschen an der Unteren Alten Donau in Wien. Doch seit dem Frühjahr kommt die Natur seinem Refugium nun doch ein wenig zu nahe. »Im letzten Winter hat’s begonnen. Zuerst waren zwei kleine Bäume weg und dann immer mehr, auch ausgewachsene Pappeln. Wenn das so weitergeht, steht am Ufer bald gar nichts mehr«, sorgt sich Krenner. Eine Biberfamilie hat sich in seiner Nachbarschaft angesiedelt und geht dort ihrem natürlichen Treiben nach. Vor allem fällt sie Bäume.
Tatsächlich wird Naturfreund Krenner Zeuge eines Phänomens, das in der Großstadt Wien immer mehr um sich greift: die höchst erfolgreiche Wiederansiedlung des Bibers (Castor fiber) in der Metropole. Vor 25 Jahren setzte eine Gruppe Biologiestudenten in Orth an der Donau und in der Lobau einige kanadische und europäische Biber aus. Mittlerweile sind allein in Wien geschätzte tausend Exemplare wieder heimisch geworden.
Die Tierfreunde wollten mit ihrer Aktion einen in ihren Augen schlimmen zivilisatorischen Frevel wiedergutmachen: die Ausrottung dieses Nagers in Mitteleuropa.
Sein Verschwinden hatte mehrere Gründe. Zum einen galt das bis zu 35 Kilogramm schwere Tier Katholiken als Fastenspeise. »Bezüglich seines Schwanzes ist er ganz Fisch«, lehrte der Jesuit Pierre-Francois-Xavier Charlevoix anno 1754. Zum anderen wurde einem Sekret aus den Drüsensäcken der Pelztiere, dem sogenannten Bibergeil, aphrodisierende Wirkung nachgesagt. 1869 wurde der letzte österreichische Biber in Salzburg erschossen.
Über 100 Jahre lang musste Österreich ohne Biber das Auslangen finden. Heute sind ihre Spuren sogar in dicht besiedelten Gebieten wieder unübersehbar. Sie sind die fleißigsten Holzfäller von Wien. Biber sind nachtaktive Tiere und können einen Baum mit einem Durchmesser von 40 Zentimetern in einer einzigen Nacht kippen. Sie haben es auf höher gelegene Knospen und Zweige, aber auch auf die Rinde abgesehen. Da sie jedoch den Stamm nicht hinaufklettern können, legen sie einfach den ganzen Baum um. Von dem nach Wiener Baumschutzgesetz streng geschützten Gewächs bleibt ein 30 bis 40 Zentimeter hoher, kegelförmiger Stumpf übrig. Und das mittlerweile entlang aller größeren Gewässer Wiens: Donaukanal, Alte Donau oder Wienfluss. Bis zu 15 Bäume fällt eine Biberfamilie jährlich. So wird in Wien Jahr für Jahr ein kleines Waldstück Opfer der Nager.
Konsequent bekämpfen die Landschaftspfleger der Gemeinde die verräterischen Spuren und sägen die Biberkeile an den Stümpfen wieder gerade. Mittlerweile kommen sie aber häufig mit ihrer Arbeit den emsigen Tieren nicht mehr nach.
Das freut Ulli Goldschmied. Als Naturschutzreferentin der Wasserbauabteilung MA 45 ist die Biologin auch eine Art Biberbeauftragte der Stadt und unterstützt seit vielen Jahren die Wiederansiedlung der Heimkehrer. »Die Biber sind eine Bereicherung. Wir müssen lernen, mit ihnen zu leben«, fordert sie.
In Wien sind sie wohlgelitten, in Niederösterreich vom Abschuss bedroht
Andreas Schreckeneder sieht das etwas anders. »Ich frage mich: Wer haftet eigentlich, wenn einem Spaziergänger ein halb abgenagter Baum auf den Kopf fällt?«, gibt der Bezirksjägermeister des Wiener Landesjagdverbands zu bedenken. Abschießen dürfen er und seine Kollegen die Biber nicht, denn die Tiere stehen unter Naturschutz. »Würde man den Biber aber ins Jagdrecht aufnehmen«, sagt Schreckeneder, »dann müssten die Jäger auch für die Biberschäden haften. Kein Jagdausübungsberechtigter wäre so wahnsinnig.«
Im Übrigen sei die Biberplage vernachlässigbar im Vergleich zu den Problemen, vor die andere Einwanderer aus der Welt der Wildtiere die Wiener Jägerschaft stellten, Marderhunde oder Goldschakale etwa. »Der schlimmste Zuwanderer ist der Waschbär«, weiß der Jägermeister. »Er dringt überall in die Häuser ein, ist äußerst schlau und daher ganz schwer zu erlegen.« 70 Jahre haben die Kleinbären gebraucht, bis sie bis nach Wien vorgedrungen waren. Ursprünglich hatte die ersten Exemplare des amerikanischen Pelztieres 1934 Reichsjägermeister Hermann Göring am Edensee in Hessen aussetzen lassen. »Jetzt ist diese Landplage bei uns angekommen«, klagt Waidmann Schreckeneder. »Da lobe ich mir die Biber.«
Die Nager sind ein Vorbild konservativer Lebensführung. Sie sind monogam, fast hundertprozentig heterosexuell und bleiben einem einmal gewählten Partner ein Leben lang treu. Auf dem ersten Blick verwunderlich, dass ihre gefährlichsten natürlichen Feinde niederösterreichische ÖVP-Politiker sind. Das hat nachvollziehbare Gründe: Biber verursachen Landschaftsschäden. Ihre Biberburgen unterminieren Dämme, die Dörfer vor Hochwasser schützen sollen.
Auf Druck von Bürgermeistern schlug vor einem Jahr die damalige SPÖ-Landesrätin vor, den Abschuss von 15 Prozent der Biberpopulation zuzulassen. Das ging manchen aber nicht weit genug. »Auch die restlichen 85 Prozent sind eine Gefahr für den Hochwasserschutz und damit für die Menschen«, meinte ÖVP-Landesgeschäftsführer Gerhard Karner. Der Hardliner fordert die komplette Ausrottung der Spezies. So geriet die Biberfrage schließlich in die Mühlen der niederösterreichischen Landespolitik. Jetzt verlangen Sozialdemokraten Artenschutz. »Ich habe einen Biber im Garten«, erzählt der Dritte Landtagspräsident Alfredo Rosenmaier von der SPÖ. »Andere ärgern sich über jeden Maulwurfshügel, ich sehe meinen Biber als Bereicherung.«
Diese Meinung vertritt auch ein anderer SPÖ-Politiker. Fritz Knotzer hat die Initiative Biberschutz ins Leben gerufen und bietet Biberfamilien, die anderswo nicht willkommen sind, Asyl in seiner Gemeinde. Sein Appell: »Geben wir dem Biber ein wenig Raum entlang unserer Flüsse und Bäche und etwas Toleranz in unserer Gesellschaft.« Erfahrung mit Asylsuchenden hat Knotzer genug. Schließlich ist er Bürgermeister der Flüchtlingslager-Gemeinde Traiskirchen.
Dieser Artikel ist in der ZEIT, Österreich-Ausgabe, Nr. 36/2008 vom 28.08.2008 erschienen.
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