Einladungen zum gemeinsamen Töten stehen nicht nur in Tirol auf der Tagesordnung. Transparent ist das schießwütige Treiben aber nirgends.

Von Gerd Millmann

Erschienen in DIE ZEIT Nr. 16/2012 vom 12. April 2012

Die Momente sind für Günther Platter selten geworden, in denen er sich auf sicherem Terrain weiß. Doch bei den jährlichen Präsentationen von Jagdtrophäen ist der Tiroler Landeshauptmann unter seinesgleichen. Hier fühlt er sich verstanden. Inmitten Hunderter von Geweihen wetterte er etwa vor zwei Wochen in St. Anton vom Podium: »Wir lassen nicht zu, dass die Jagd im Land kriminalisiert wird.«

Passionierte Waidmänner haben es nicht leicht in Zeiten wie diesen. Ihre Leidenschaft ist in Verruf geraten, wurde fast zum Synonym für die ausufernde Korruption im Land. Vom Jägerstammtisch am Michaelerplatz in Wien bis hin zum Jagdschloss im schottischen Hochland scheinen Politik und Wirtschaft beim gemeinsamen Töten trüben Geschäftspraktiken zu frönen.

Auch auf den Hochständen im Pitztal geben sich Wirtschaftsmagnaten das Gewehr in die Hand. Dort, wo fast 50 Dreitausender schroff zum Himmel ragen, liegt das größte Jagdgebiet von Tirol: 22.000 Hektar wildromantisches Alpenland, auf einer Seehöhe zwischen 1.100 und 3.000 Metern gelegen. Hierher lädt der Herr Landeshauptmann zu Waidmanns Heil und Waidmanns Dank sowie anschließend zum geselligen »Tottrinken« der erlegten Beute. Kraft seines Amtes kann der Landesvater zehn Prozent der Abschüsse in diesem Jagdgebiet »zur Herstellung und Vertiefung von Kontakten im Interesse des Landes in wirtschaftlicher, politischer oder kultureller Hinsicht an Persönlichkeiten im In- und Ausland« verschenken, wie es in den Richtlinien des Tiroler Jagdgesetzes heißt. Wer diese Persönlichkeiten sind, ist seit Wochen Inhalt erregter Debatten. Neojäger Platter – er hat seinen Jagdschein erst im Vorjahr erhalten – findet, das gehe nur ihn etwas an. Auch seine Vorgänger hielten die Namen ihrer Jagdgäste geheim.

Nicht einmal der Landesrechnungshof erfährt sie. Nur so viel rückt der Landesfürst heraus: Zwischen 2000 und 2005 gab es 52 solcher »Ehrenabschüsse« im Wert von jährlich 25.000 Euro, erfuhr die Kontrollstelle des Landes im Jahr 2006.

Doch man war nicht immer so verschämt in Tirol. Der grüne Landtagsabgeordnete Gebi Mair fand eine veröffentlichte Liste der Ehrenabschüsse aus dem Jahr 1991. Neben Robert Lichal, damals Zweiter Präsident des Nationalrats, erlegten auch zwei Ex-Landesräte und Rudolf Schwarzböck, 1991 und bis 2007 Vorsitzender der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, ohne Rechnung Gams- und Rehböcke, »im Interesse des Landes Tirol«. Mit höchstem Segen übrigens, denn auch Bruno Wechner, der damals 83-jährige, aber noch recht rüstige Ex-Bischof von Feldkirch, schickte eine Gamsgeiß in den Tierhimmel.

»Als aber die ersten Beschwerden über die Gratisjagden aufgetaucht sind, hat das Land nicht etwa die Ehrenabschüsse gestoppt, sondern begonnen, sie zu verheimlichen«, sagt Mair. Listige Tiroler fanden trotzdem Namen. Bei der jährlichen verpflichtenden Trophäenschau ist nämlich der Name des Jägers auf der Jagdtrophäe vermerkt – bis auch das im Jahr 1999 per Verordnung gestoppt wurde. Seitdem darf auch der Name des Jagdleiters statt dem des Jägers angeführt werden – was seitdem bei den Ehrenabschüssen auch regelmäßig der Fall ist.

Richtig unter Beschuss kam Landeshauptmann Platter erst, als Markus Wilhelm, Quälgeist der Tiroler Provinzpolitiker, Ende März aufdeckte, dass nicht nur der Landeshauptmann zum Jagdvergnügen einlud, sondern er sich umgekehrt auch zum munteren Bockschießen hatte einladen lassen. Unter anderem von dem Schweizer Fleischgroßhändler Heiner Birrer auf einen Hirsch im Außerfern, vom Goinger Stanglwirt Balthasar Hauser auf eine Gams im Unterland und vom Großgrundbesitzer Anton Pletzer auf einen Gamsbock in Osttirol. Sieben Jagdeinladungen aus dem Jahr 2011 wurden bisher bekannt.

»Das ist so, und das ist auch notwendig… es muss erlaubt sein, dass ein Landeshauptmann privat mit seinen Freunden wohin geht, und da muss ich mich nicht rechtfertigen«, zeigte Platter, vom ORF mit seiner beeindruckenden Abschussstatistik konfrontiert, kein Verständnis für Kritik.

Andere schon: »Mich erinnert das an die dubiosen Jagdgepflogenheiten mit Sonderrechten für Mielke und Honecker in der DDR«, sagt Bruno Hildenbrand, Soziologe an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Der ehemalige Staatsratsvorsitzende und sein Sicherheitsminister waren berüchtigt dafür, jährlich Hunderte von Wildtieren im ostdeutschen »Staatsjagdgebiet« Schorfheide zu erlegen.

Die Einladungspolitik zum Weidwerk

Hildenbrand ist einer der wenigen Wissenschaftler, die sich auf akademischem Boden dem Thema Jagd gewidmet haben. Über die Tiroler Einladungspolitik zum Waidwerk kann er nur den Kopf schütteln: »Das ist eine Provokation, so als ob sich Dominique Strauss-Kahn ins Bordell einladen ließe.« Dass das überhaupt möglich ist, sei ein Symbol für einen nachhinkenden Demokratisierungsprozess. »Die Jagd hat alle Attribute einer feudalistischen Gesellschaft, sie ist männerbündlerisch und exklusiv«, meint der Gesellschaftsforscher. »In Österreich gibt es bis heute adelige Machtausübungsgelüste, die im Untergrund weiter schlummern. Umso schlimmer, wenn sich ein demokratisch gewählter Politiker darauf einlässt.«

Doch nicht nur Tirol, auch andere Bundesländer besitzen eigene Landesjagden. Die Stadt Wien lockt jedes Jahr rund um die Weihnachtszeit Dutzende betuchte Hobbyjäger in den Lainzer Tiergarten. Diese richten in dem 2450 Hektar großen, ummauerten Areal im Westen Wiens ein Massaker unter den Wildschweinen an: 190 Stück wurden 2011 allein an zwei Dezembertagen erlegt.

Das Großstadtrevier, in dem bis zum Untergang der Habsburger das kaiserliche Jagdprivileg herrschte, ist seit je bei Bonzen beliebt. In der NS-Ära tummelten sich dort vornehmlich Nazigrößen auf Staatsjagden. Bei seinem einzigen Besuch bedankte sich 1938 »Reichsjägermeister« Hermann Göring bei Jagddirektor Eberhard Neubacher mit einer prächtigen Bockflinte aus der Suhler Büchsenwerkstatt der Gebrüder Merkel für seinen kapitalen Abschuss.

Heute verfehlen die Schüsse der Sonntagsjäger jedoch häufig ihr Ziel: »Die meisten Jagdgäste schießen nicht gut und unsere Jäger sorgen dann für den Abschuss«, erklärt Wiens Forstdirektor Andreas Januskowecz. Zwischen 2.000 und 3.600 Euro kostet eine erlegte Wildsau, das Fleisch noch gar nicht mitgerechnet – das wird ohnedies meist von der Stadt an Händler und Gastwirte verkauft.

Notwendig ist das Gemetzel, weil das städtische Revier nur 600 Schwarzkittel, wie Keiler, Bachen und Frischlinge im Waidmannsdeutsch heißen, verträgt. Durch das Fehlen natürlicher Feinde und wegen des großen Futterangebots verdoppelt sich die Population der Wühler jährlich. Was die Hobbyjäger übrig lassen, erledigen Profis – mit deutlich weniger Munitionsverbrauch. Wildsäue, die bis zum 25. März überleben, können erleichtert grunzen. Sie haben in den nächsten acht Monaten Schonzeit.

Bis in die siebziger Jahre wurden auch in dem Wiener Jagdgebiet Ehrenabschüsse vergeben. Doch irgendwann wurde dieser Brauch abgeschafft – wann und warum, kann niemand mehr genau sagen. Heute müsse jedenfalls jedermann zahlen, beteuert Januskowecz.

Nicht so in niederösterreichischen Revieren. Im Dezember vergangenen Jahres tauchten Berichte über Jagdeinladungen in das Truppenübungsgebiet Allentsteig auf. Der niederösterreichische ORF-Landesdirektor Norbert Gollinger, ORF-Finanzchef Richard Grasl und der Industrielle Peter Mitterbauer sollen ebenso bei einem preisgünstigen Halali dabei gewesen sein wie der ÖVP-Abgeordnete und Ex-Wirtschaftsminister Bartenstein und der Präsident der Industriellenvereinigung, Veit Sorger. »Es gab Einladungen«, bestätigte ein Sprecher des Bundesheeres, Namen will er aber keine nennen.

Vor zwei Jahren wurden die Einladungen eingestellt. »Aufgrund der sehr restriktiven Handhabung hat es im Jahr 2011 keine Gratisjagd mehr gegeben«, sagte Verteidigungsminister Norbert Darabos in einer Parlamentarischen Anfrage.

Kurios müssen hingegen die Jagdeinladungen in Amstetten-Mauer im Mostviertel gewesen sein. Um die Mindestgröße einer Eigenjagd zu erreichen, wurde 1902 der Garten der örtlichen Nervenheilanstalt in das Jagdgebiet des Landes miteinbezogen. Über Jahrzehnte hinweg wurde seither unmittelbar vor den Toren der psychiatrischen Klinik scharf geschossen – praktischerweise »von den hochrangigen Bediensteten der Anstaltsleitung sowie deren Freunden und Bekannten«, wie sich ein Abgeordneter 1999 im Landtag beschwerte. 2001 war dieser Brauch sogar Landeshauptmann Erwin Pröll zu viel an feudalem Überbleibsel. Er beendete die Schießereien im Garten der Patienten.

Seitdem ist die einzige Jagd im Eigentum des Landes Niederösterreich das Revier der Windhagschen Stipendienstiftung, die vom Forstamt Ottenstein verwaltet wird. Seit vielen Jahren wird dort zur Gratisjagd geladen. Der einzige öffentlich zugängliche Kontrollbericht stammt aus dem Jahr 1987 vom Finanzkontrollausschuss des Landes. Hohen Landesbeamten wurde demnach ebenso ein Abschuss spendiert wie dem Landesjägermeister, Rudolf Gruber, dem Vorstand des Landesenergieversorgers Newag, oder dem ehemaligen Verteidigungsminister Robert Lichal, dessen Leidenschaft für Gratisjagden länderübergreifend zu sein scheint. Ob heute noch eingeladen wird, bleibt offen, denn Niederösterreichs Jagdlandesrat Stephan Pernkopf hat es vorgezogen, erst gar nicht auf eine entsprechende Anfrage zu reagieren.

Außer Tirol, Wien und Niederösterreich will keines der übrigen sechs Bundesländer selbst verwaltete Jagden besitzen. Auch gebe es keine Einladungen seitens des Landes, so die zuständigen Referenten.

Fest steht laut niederösterreichischem Finanzkontrollausschuss: einer der Gratisjäger in den achtziger Jahren war Christian Konrad, derzeit noch Generalanwalt des Raiffeisenverbands. Seit über 20 Jahren ist der 68-Jährige Landesjägermeister, am 14. April legt er das Amt nun nieder. Beim niederösterreichischen Landesjägertag in Wieselburg wird sein Nachfolger gewählt – und der wird Josef Pröll heißen, ehemaliger Vizekanzler und Landeshauptmann-Neffe. Der Titel des obersten Jägers im Land unter der Enns war Konrad stets wichtig. Kenner des Raiffeisenchefs meinen, diese Übergabe sei die eigentliche Pensionierung Konrads, nicht die Abgabe der Raiffeisenämter im kommenden Juni.

Dieser Artikel stammt aus der ZEIT, Österreich Ausgabe 16/2012 vom 12. April 2012.