Im Schutz der diplomatischen Immunität werden Hausangestellte in Wien miserabel behandelt. Der Kampf dagegen ist zäh
Von Gerd Millmann
Erschienen in DIE ZEIT Nr. 16/2014 vom 10. April 2014
Es ist der Tag der diplomatischen Pfauenräder. Beim alljährlichen Neujahrsempfang des Bundespräsidenten am 19. Jänner 2014 hatten sich die Botschafter aus aller Welt wieder in Schale geworfen, um ihre Nation in der Wiener Hofburg möglichst eindrucksvoll zu repräsentieren. Dort dominieren Handkuss, Schärpen und Courtoisie.
Schon auf dem Weg zum protokollarischen Höhepunkt des Jahres hat das diplomatische Korps in Wien sein berufliches Fingerspitzengefühl unter Beweis stellen müssen. Die feierlich mit Staatswappen geschmückten Limousinen der Exzellenzen hatten sich nämlich von der Hofburg bis zum Burgtheater gestaut. Und dort trat die sehr weltliche Straßenverkehrsordnung in Kraft. Die wartenden Botschaftskarossen in der Löwelstraße hatten Nachrang, die am Josef-Meinrad-Platz hatten Vorrang. So wurde die Kreuzung hinter der Burg zum Schauplatz verkehrsdiplomatischer Gesten. Da überließ der italienische Botschafter seinem mexikanischen Kollegen großzügig den Vorrang, und sogar das Beharren der US-amerikanischen Botschafterin auf ihrer Vorfahrt wurde ohne die verkehrsüblichen Unmutsäußerungen wie Drängeln oder gar Hupen zur Kenntnis genommen. So höflich kann Diplomatie sein.
Sie kann aber auch anders. Hinter manchen Mauern nobler Villen der Hauptstadt herrschen Ausbeutung, Rechtlosigkeit und Hausarrest. Im Juni 2008 nutzte Frau T. einen unaufmerksamen Augenblick ihres diplomatischen Dienstgebers, um aus dessen Haus zu Freunden zu flüchten. Die als Hausangestellte beschäftigte Filipina musste zuvor drei Jahre lang bis zu 120 Stunden pro Woche schuften, durfte das Haus nicht alleine verlassen, bekam dafür nur 180 Euro im Monat und war nicht sozialversichert. Diese sklavenähnlichen Zustände lagen nicht am mangelnden Einkommen des Hausherrn. Faisal A. (Name geändert) arbeitet seit Jahren in der oberen Managementebene der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) in Wien. Und er genießt diplomatische Immunität.
Drei Jahre nach ihrer Flucht entschied sich Frau T., beim Verein LEFÖ-IBF, der Interventionsstelle für Frauenhandel, um Hilfe anzusuchen. Dort nahm man mit der Arbeiterkammer Wien Kontakt auf, die im Namen von Frau T. 5.000 Euro einforderte. Der Rest der Ansprüche war leider bereits verjährt. „Bei Gericht aber hat Herr A. seine absolute Immunität und damit die Unzulässigkeit des Rechtswegs eingewandt“, erinnert sich Karmen Riedl von der Wiener Arbeiterkammer. „Das Gericht hat dem recht geben müssen.“ Erst nach Druck der Öffentlichkeit und des Außenministeriums bezahlte der Ölfunktionär 1.500 Euro an seine ehemalige Angestellte. Trotz einer Anzeige wegen Menschenhandels wurde er – wegen seiner Immunität – nicht strafrechtlich verurteilt. So wie in allen Fällen diplomatischer Sklaverei bisher.
Frau T. ist mit ihrer Odyssee nicht allein. Die widerrechtliche Ausbeutung von Frauen in Diplomatenhaushalten ist ein nach wie vor aktuelles Thema. Nachdem Sebastian Kurz vor drei Monaten zum Außenminister ernannt worden war, erhielt er eine hauseigene Informationsmappe „zu ausgewählten aktuellen Arbeitsbereichen“. Darin heißt es auf einer der ersten Seiten: „Ein Kernanliegen des BMeiA/Protokollabteilung ist die Verhinderung der Ausbeutung des Hauspersonals von Diplomaten“. Etwa 17.000 Diplomaten wirken in Österreich. Knapp 200 angemeldete private Hausangestellte arbeiten in Diplomatenhaushalten. Und weiter steht in diesem Vademecum für den Außenminister: „Die Überprüfung des Arbeitsalltags ist aufgrund der diplomatischen Immunität ihrer Arbeitgeber schwierig.“
Von „250 Frauen, die sich jedes Jahr bei uns um Hilfe wenden, sind drei bis fünf Beschäftigte in diplomatischen Haushalten“, sagt Evelyn Probst von LEFÖ-IBF. Die meisten dieser Frauen kommen aus den Philippinen und wollen in Wien ein paar Jahre arbeiten, um ihre Familie zu Hause zu versorgen. „Sie müssen im Diplomatenhaushalt rund um die Uhr für Arbeiten zur Verfügung stehen, werden eingeschüchtert, respektlos behandelt und bekommen viel zu wenig Geld“, so Probst. Dabei stehen einer Haushaltsangestellten laut Kollektivvertrag mindestens 1.000 Euro im Monat zu. Und das 15-mal im Jahr, weil der Kollektivvertrag eine Sechstagewoche erlaubt.
Frau U. aus Nepal wusste nichts von ihren Rechten. Sie ist Analphabetin und war mit dem Versprechen nach Wien gelockt worden, nur für die Betreuung der drei Kinder einer Funktionärin der Atomenergieagentur IAEO zuständig zu sein. Tatsächlich musste die Frau neben der Kinderbetreuung täglich von 6 Uhr morgens bis 21 Uhr schuften, für acht Personen kochen und ihnen hinterherputzen. Manchmal bekam sie sonntags frei, allerdings durfte sie das Haus niemals verlassen. 350 bis 400 Euro im Monat zahlte die Diplomatin für ihre häusliche Sklavin – bis diese kurz vor Weihnachten 2012 flüchten konnte.
Es sind diese unglaublichen Fälle diplomatischen Fehlverhaltens, die das Außenministerium aktiv werden ließ.
Viele haben Angst, nach ihrer Flucht aus Österreich ausgewiesen zu werden
Es ist ausgerechnet die 1961 beschlossene Wiener Konvention für Diplomatische Beziehungen, die ein Eingreifen österreichischer Behörden verhindert. Im Zweifelsfall steht die diplomatische Immunität über allem. Trotzdem hat das Außenministerium Verbesserungen umsetzen können. So erhalten die künftigen Hausangestellten vom Ministerium vor Antritt ihres Jobs noch in ihrer Heimat Informationen über ihre Rechte und darüber, an wen sie sich im Notfall wenden können. Auch muss der Arbeitgeber einen Wohnungsplan samt eigenem Zimmer für die Angestellten vorweisen.
Elisabeth Tichy-Fisslberger ist die Koordinatorin zur Bekämpfung des Menschenhandels im Ministerium. Sie hat im vergangenen November eine Informationsveranstaltung organisiert, an der 50 Diplomatenhausangestellte teilgenommen haben.
Dazu kommt noch diplomatischer Druck. In bekannt gewordenen Fällen von Ausbeutung ersucht das Außenamt die Botschaft des betroffenen Landes um Aufhebung der Immunität – mit wechselndem Erfolg. Meist aber reisen die Diplomaten aus, wenn ruchbar wird, dass ihr Status in Gefahr sein könnte. „Leider kann nur der betroffene Staat die Immunität aufheben“, bedauert Evelyn Probst von LEFÖ-IBF. Sie betont: „Wir kooperieren eng mit dem Außenministerium, das funktioniert sehr gut.“ Probst und ihre Kolleginnen kümmern sich auch um neue Jobs für die ehemaligen Botschaftssklavinnen.
Die ausbeuterischen diplomatischen Arbeitgeber kommen – egal, ob in Berlin oder Wien – hauptsächlich aus dem arabischen und asiatischen Raum. Manche Beschäftigte haben immer noch Angst, nach einer Flucht vom Arbeitgeber aus Österreich ausgewiesen zu werden. „Opfer von Menschenhandel haben seit 1998 ein Recht auf Aufenthalt in Österreich“, sagt Probst. Ein legaler Aufenthalt ist aber gar nicht notwendig, um Entschädigung nach dem Verbrechensopfergesetz zu erhalten. Damit werden Krankenhausrechnungen bezahlt, aber auch psychotherapeutische Behandlungen.
Im Kern geht es um die Frage, was schwerer wiegt. Der diplomatische Status oder die Menschenrechte? Eine deutsche Haushaltssklavin, die von einem saudischen Diplomaten in Berlin ausgebeutet wurde, wollte genau diese Frage vom Bundesverfassungsgerichtshof in Karlsruhe beantwortet wissen. Doch die Aufhebung der diplomatischen Immunität des Hausherrn durch Saudi-Arabien verhinderte diesen Gerichtsentscheid im vergangenen Dezember. Dafür konnte die Frau von ihrem ehemaligen Chef erfolgreich vor dem Arbeitsgericht eine Nachzahlung erstreiten.
In Österreich hat keine der Betroffenen den entbehrungsreichen und teuren Weg durch die Instanzen antreten können, um zu klären, ob Menschenrechte tatsächlich durch diplomatische Rechte ausgehebelt werden können.
Steht die diplomatische Immunität über den Menschenrechten?
Für Frau Probst ist die Diplomatensklaverei zwar skandalös, aber „ich würde gerne wissen, wie es den vielen anderen Haushaltsangestellten in Nicht-Diplomatenhaushalten in Österreich eigentlich geht“. Dazu gibt es kaum belastbare Zahlen, darüber hinaus sind hier Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft weit verbreitet.
Das könnte sich nun zum Besseren wenden. 2011 hat die Internationale Arbeitsorganisation ILO das Übereinkommen 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte verabschiedet. Es stärkt die Position der geschätzten 52 Millionen Hausangestellten weltweit. Während die Philippinen und die meisten Herkunftsländer der Angestellten das Übereinkommen bereits ratifiziert haben, stockt dieser Prozess in Österreich. Deutschland und Italien haben die Ratifikation – als Verpflichtung zu deren Umsetzung – hingegen bereits hinter sich. Im sozialpartnerschaftlichen Österreich sperrt sich aber laut dem zuständigen Sozialministerium die Wirtschaftskammer gegen Besserstellungen für Haushaltsangestellte.
Dieser Artikel stammt aus der ZEIT, Österreich Ausgabe 16/2014 vom 10. April 2014.
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