Der Maiaufmarsch der Wiener Sozialdemokraten als Familientreff, Touristenattraktion und politische Kundgebung. Die Red Biker haben beim SPÖ-Aufmarsch den lautesten Beitrag geleistet.
Von Gerd Millmann
Dieser Artikel erschien am 1. 5. 2014 in der Wiener Zeitung.
(Wien) Red Biker gegen Platzsprecher: 1:0. Die röhrenden PS-starken Motoren der sozialdemokratischen Zweiradfahrer übertönten die Kommentare des Moderators des SPÖ-Aufmarsches um dutzende Dezibel. Die 30 Genossinnen und Genossen Motorradfreaks geben an diesem 1. Mai das lauteste Votum „für ein soziales und demokratisches Europa“ ab. So lautet der SPÖ-Slogan für den heurigen Tag der Arbeit. Die Red Biker können sich diesen Wirbel erlauben. Sie sind eine der wenigen Gruppen, die von Jahr zu Jahr mehr Teilnehmer zum traditionellen Maiaufmarsch der Wiener SPÖ bringen.
Dennoch – der Maiaufmarsch ist auch im Jahr 2014 ein eindrucksvolles Ereignis. Er wirkt durch seine jahrzehntelang gepflogenen Art und Weise aus der Zeit gefallen, aber gerade durch seine völlig fehlende Anbiederung an Hipp- und Coolness wieder cool. Das meint zumindest Charlene. Die 24-jährige Studentin ist mit ihrer Freundin extra zeitig aufgestanden, um die Parade der Genossen am Ring mitzuverfolgen. „Mir gefällt der Retroaspekt des Maiaufmarsches. Die alten Fahnen, die Transparente, die vielen Blaskapellen und die Hunde mit den roten Luftballons. Außerdem: Ich bin für fast alles, was auf den Transparenten steht.“
Weite Wege
Alleine ist sie mit dieser Vorliebe für Maiaufmärsche nicht. Auch der langjährige grüne Wiener Gemeinderatsabgeordnete Christoph Chorherr verfolgt vor dem Burgtheater auf einem Lastenrad den Vorbeimarsch der Genossen Koalitionspartner. Als „Last“ transportiert der Grünpolitiker zwei Knirpse – jeder mit einem roten SPÖ-Luftballon in Hand.
Viele der Marschierer am Ring haben einen langen Weg hinter sich. Tausende pflicht- und traditionsbewussten Genossen haben sich schon frühmorgens in ihren Bezirken versammelt, um quer durch Wien vor das Rathaus zu ziehen und die SPÖ-Größen, wie Bundeskanzler Werner Faymann und den Wiener Bürgermeister Michael Häupl, zu hören.
In einigen Bezirken haben Blaskapellen für das Munterwerden der müden Genossen – und der Anrainer gesorgt. Die kleinen Häuflein, die sich schließlich aufmachen, werden im Lauf ihres Marsches zum Zentrum um Genossen ergänzt, die sich noch eine Mütze Schlaf gegönnt haben und sich unauffällig einreihen. „Ich mag das nicht, ich bin seit 57 Jahren dabei und bin immer schon den ganzen Weg mitgegangen“, erinnert sich Herta, eine Hernalser Pensionistin.
Falls sie einmal nicht mehr so rüstig ist, kann sie ja mit der elektrisch betriebenen Bahn mitfahren: Jede Bezirkspartei stellt für ihre älteren Genossen einen derartigen Marschierersatz zur Verfügung. Josef braucht das noch nicht.
Österreichische Folklore
Der Mittdreißiger marschiert in seiner schwarzen Rauchfangkehrer-Dress vor den Genossen aus Währing und repräsentiert den sozialdemokratischen Wirtschaftsverband. Bemerkenswert viele Frauen sind unter den roten Rauchfangkehrern zu sehen. „Ja leider“, meint Josef. Auf die Frage „Warum leider?“ erklärt er das nur für ihn Selbstverständliche: „Na kennen Sie eine Rauchfangkehrerin, die Glück bringt?“
Zum Glück hört ihn keine seiner Kolleginnen. Dafür ersucht ihn eine Gruppe asiatisch aussehender Touristinnen um ein Foto. Sie sind durch Zufall in diese Polit-Kundgebung gekommen und halten sie für österreichische Folklore. Was sie wohl zum Teil auch ist. Die Sozialistische Jugend und die Roten Falken zeigen stolz ihre Blauhemden, die Arbeiter-Samariter ihre grauen Uniformen und die Döblinger Delegation zeigt stolz ihren Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky.
Hohe Ex-Ministerdichte
Generell ist die Dichte der Ex-Regierungsmitglieder hoch. Auch sie marschieren am Podium vorbei, von dem aus ihnen ihre aktuellen sozialdemokratischen Kollegen zuwinken. Dort oben herrschen rote Krawatten, geschwungene Stecktücher und trotz heftiger Sonneneinstrahlung keine Sonnenbrillen. Eine gute Entscheidung. Zu unnahbar würden wohl die Grüßer und Redner auf ihre Parteifreunde wirken.
Um halb zwölf schließlich sind alle Organisationen am Podium vorbeimarschiert und die Reden beginnen. Um diese Zeit hat sich das kulinarische Zentrum zwischen Burgtheater, Löwelstraße und Café Landmann bereits heftig gefüllt. Zu Bier und Würstchen werden alte Freunde begrüßt, Kinder spielen Fangen und von einem der vielen Heurigenbankerln aus ruft ein Genosse in den besten Jahren: „Die Faymann-Rede geben wir uns noch, dann fahren wir in den Prater.“ Dort – beim Maifest der Wiener Sozialdemokraten – wird ab Mittag schon für das Donauinselfest trainiert. Es ist der mittlerweile obligatorische Abschluss der Maikundgebung in Wien.
Dieser Artikel erschien am 1. 5. 2014 in der Wiener Zeitung.
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