Österreich ist schwer bewaffnet. Dennoch will ein skurriler Verein den Waffenbesitz für jedermann erkämpfen.

Von Gerd Millmann

Erschienen in DIE ZEIT, Nr. 7/2015 vom 12. Februar 2015

Schutzbedürftig blickt das Baby mit den blauen Augen. Am liebsten würde man es hochheben und streicheln. „Ich habe Angst vor Einbrechern“, steht neben dem Bild des blonden Engels. „Damit mein Papa mich beschützen kann, ist er bei der IWÖ.“ Mit diesem Eigeninserat wirbt die Interessengemeinschaft Liberales Waffenrecht in Österreich (IWÖ) in der aktuellen Ausgabe ihres Magazins. Der wehrhafte Verein zählt rund 5.000 Mitglieder und kann politisch mit Unterstützung durch das Team Stronach und die FPÖ rechnen. Sogar der blaue Parteichef ist unter den Gefolgsleuten dieser Ballermänner.

In Zeiten des Terrors wächst auch das Interesse an Waffenscheinen in der Bevölkerung. „In unsicheren Zeiten wollen sich immer mehr Menschen bewaffnen“, heißt es dazu aus dem Innenministerium. Auch Waffenhändler erzählen von verstärkter Nachfrage seit einigen Monaten. Der IWÖ kann das nur recht sein.

Die Logik des Vereins: Die Kriminalität lauere überall, der Staat versage beim Schutz vor ihr, also müsse man zur Selbstverteidigung schreiten. „Wenn der Staat es nicht einmal schafft, die einzige Aufgabe zu erfüllen, für die er angeblich geschaffen wurde, weshalb entsorgen wir ihn nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte“, steht in derselben Ausgabe des Vereinsmagazins zu lesen. Die IWÖ ist eine Vereinigung zorniger weißer Männer. „Stünden solche Aufrufe dort auf Arabisch, geschrieben von einer anderen bewaffneten Gruppe, würde schon der Hubschrauber der Exekutive über dem Büro kreisen“, sagt ein Beamter des Innenministeriums, der nicht genannt werden will. Mit der IWÖ will er sich nicht anlegen.

Normalerweise trägt Georg Zakrajsek seine Pistole immer bei sich, nur nicht heute, weil das Gespräch im FPÖ-Parlamentsklub stattfindet. Waffen müssen beim Portier abgegeben werden. Der pensionierte Notar aus Wien, stets adrett mit Sakko und Krawatte gekleidet, ist als Generalsekretär die starke Stimme der IWÖ und betreibt seinen Kampf aus Passion. In seinem Blog Querschüsse unterstreicht er die labile Lage der Welt und beschwört die einzige Notwehr, den privaten Waffenbesitz. Die ganze Familie Zakrajsek ist schwer bewaffnet. „Meine Frau hat eine Waffenbesitzkarte und meine beiden Söhne einen Waffenpass. Wie viele Waffen wir haben, weiß ich aber nicht auswendig.“

Das Mantra, der Staat komme seiner Schutzaufgabe nicht nach, verbreitet Zakrajseks Blog tagtäglich. Der Duktus der Beiträge ist hasserfüllt. „Der Islam gehört in die Wüste. Nach Europa gehört er nicht, auch nicht in andere zivilisierte Länder. Der Islam ist die ideale Religion für eine Schmarotzergesellschaft“, steht dort. Schwarze nennt Zakrajsek durchgehend „Neger“, Moslems „Mohammedaner“ oder „Surensöhne“. Den Deutschen gehe das Geld wegen der „vielen Zigeuner“ und „Lampedusa-Neger“ aus, und die Politiker gehörten „alle zum Teufel gejagt“.

„Ich überspitze gerne“, sagt Zakrajsek dazu. „Jedes Mal, wenn ich Neger schreibe, bekomme ich eine Anzeige vom Verfassungsschutz. Natürlich wird daraus nichts. Mir stellen sie nach, aber die echten Terroristen lassen sie schalten und walten.“ Der IWÖ-Generalsekretär hat auch eine Theorie dazu: „Der Staat und die Exekutive gehen immer den Weg des geringsten Widerstands. Natürlich ist es leichter, mich zu sekkieren als Terroristen.“ Darum würden auch die legalen Waffenbesitzer drangsaliert, während die Besitzer illegaler Waffen frei herumlaufen könnten.

Auf der Bugwelle des angeblichen Staatsversagens lässt der IWÖ-Generalsekretär zahlreiche krude Wertvorstellungen mitschwimmen: Kritik am Gendern, an der EU und den Grünen taucht dabei ebenso auf wie Empörung über Zuwanderung, die Autobahnmaut oder den Fahrradverkehr. Der Klimawandel sei nur „ein Schmäh“, und das Land werde von unfähigen Politikern regiert. So etwas hört man sonst üblicherweise bei Verschwörungstheoretikern oder den Versammlungen der Pegida-Bewegung. Diese gefalle ihm sehr gut, sagt Zakrajsek. „Vor allem deshalb, weil ihre Teilnehmer ungerecht behandelt werden. Ich bin gegen jede Diktatur, gleich ob links oder rechts.“

Der Mann ist schlau. In seinem Blog und dem Vereinsmagazin spricht er die Sprache der Ewiggestrigen, zieht sich aber auf eine schwer angreifbare Metaebene zurück, sobald es eng wird. Er fordert auch, dass Pumpguns, die in den 1990er Jahren verboten wurden, weil sie zu spektakulären Todesfällen geführt hatten, für Waffenbesitzkarten- und Waffenpassträger zugänglich sein müssen. „Nur, um die gültigen EU-Regelungen auch in Österreich umzusetzen“, meint Zakrajsek. Sein Blog ist mit dem rechten Onlinemagazin unzensuriert.at und der US-Waffenlobby National Rifle Association verlinkt.

Gegründet wurde die IWÖ 1994, um eine Verschärfung des Waffenrechts im Zuge des EU-Beitritts Österreichs zu verhindern – mit Erfolg. „180.000 Unterschriften haben wir damals dagegen gesammelt“, freut sich Zakrajsek.

362.000 Pistolen und Revolver, 470.000 Jagdgewehre und 40.000 Flinten sind laut Innenministerium in heimischem Privatbesitz. Die Waffen der Exekutive und des Bundesheeres sowie illegale Waffen nicht mit eingerechnet. Fast jeder dritte Mord oder Totschlag wird in Österreich mit einer Feuerwaffe verübt. Im Vergleich dazu sterben in Australien und Tschechien nur elf Prozent der Gewaltopfer durch Feuerwaffen, in Frankreich zehn Prozent, in Großbritannien nur sieben Prozent. Dort besitzen sechs Prozent der Bewohner eine oder mehrere Feuerwaffen. In Österreich liegt dieser Wert laut des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung bei 30 Prozent. In nur zehn Staaten weltweit liegen pro Kopf mehr Waffen griffbereit im Nachtkästchen – darunter Saudi-Arabien, Irak, Jemen und die USA.

Die private Bewaffnung Österreichs ist im internationalen Vergleich hoch. 150.705 Personen haben eine Waffenbesitzkarte. Sie sind damit berechtigt, Waffen zu besitzen und diese gegebenenfalls zum Schutz der Person oder ihres Eigentums einzusetzen. 74.450 Österreicher dürfen mit ihrer Waffe sogar spazieren gehen. Ihnen wurde ein Waffenpass ausgestellt. Dieses Dokument erlaubt ihnen, ihre Pistole wie James Bond stets eng am Körper zu tragen. Um zu einem Waffenpass zu gelangen, muss ein berechtigtes Bedrohungspotenzial vorliegen. Es liegt im Ermessen der Behörde, darüber zu urteilen. Die Bedrohung muss jedenfalls augenscheinlich und nachweisbar sein. Besonders Richter, Detektive, Anwälte, Trafikanten oder Journalisten bekommen das Okay der Behörde, wenn sie zum Ziel von Drohungen geworden sind. Genau darüber ärgert sich Zakrajsek gewaltig: „Die Vergabe erfolgt viel zu restriktiv, nicht einmal pensionierte Polizisten erhalten einen Waffenpass.“

Waffen sind immer noch Männersache. Nur 3,8 Prozent der Besitzer von Waffenpässen sind Frauen. Bei den Waffenbesitzkarten liegt der Frauenanteil bei knapp elf Prozent. Auch Martina Schenk gehört dazu. Die ehemalige FPÖ- und BZÖ-Politikerin sitzt für das Team Stronach im Nationalrat und ist der Shootingstar der IWÖ. Sie unterstützt die Parlamentspetition „Mehr Sicherheit durch ein liberales Waffenrecht“. Demnach sollten erstens Jäger, die bisher ihre Waffen nicht gemeldet haben, straffrei bleiben und zweitens Menschen, die sich bedroht fühlen, leichter zu Waffenpässen gelangen.

„Natürlich wird die Petition mehrheitlich abgelehnt werden, SPÖ und ÖVP wollen die Situation so lassen, wie sie ist, die Neos haben unterschiedliche Meinungen und die Grünen wollen überhaupt keine Waffen im Privatbesitz“, sagt Schenk. „Nur die FPÖ ist unserer Meinung.“ FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist ebenfalls Mitglied der Waffenlobby, was sein Büro bestätigt, hält den Ball aber diesbezüglich sehr flach. Auch andere Politiker stehen ungern zu ihrer Mitgliedschaft. Neben Nationalrätin Schenk ist auch Ewald Stadler eine Ausnahme. Der Rechtskatholik mit bewegter Parteienvergangenheit hat als BZÖ-Abgeordneter für die IWÖ Stimmung gemacht.

Die Grünen wollen eine Aufrüstung der Privathaushalte verhindern, betont der Justizsprecher der Partei, Albert Steinhauser – einer der Lieblingsfeinde des IWÖ. Als er Straffreiheit für den Whistleblower Edward Snowden forderte, schrieb Generalsekretär Zakrajsek in seinem Blog, Steinhauser sei „eher ein Nazi als ein Kommunist“ und ein „braver Lehrling des SS-Reichsführers“. Steinhauser verklagte Zakrajsek daraufhin, verlor aber in erster Instanz. Ein Politiker müsse sich mehr gefallen lassen als ein Durchschnittsbürger, so die Begründung des Richters. Nun will Steinhauser wegen des Vergleichs mit Heinrich Himmler durch die Instanzen gehen. Zakrajsek ist jedenfalls kampfbereit und scheut keine Debatte, auch keine Polemik. Es gibt zum Beispiel keine Statistik darüber, wie viele legale und illegale Waffen in Österreich bei Verbrechen zum Einsatz kommen. „Schwer zu sagen“, erklärt auch Waffenlobbyist Zakrajsek. Nicht ohne hinzuzufügen: „Es gibt in Österreich 40.000 Tschetschenen, bei denen gehört der Waffenbesitz einfach dazu. Die haben selbstverständlich keinen Waffenpass, von denen wird aber keiner kontrolliert.“

Ob er selbst schon seine Waffe gegen einen Menschen eingesetzt habe? „Ja, einmal“, erinnert er sich. „Jemand wollte in meinen Wagen einbrechen, ich habe ihn bedroht, bis die Polizei zur Stelle war.“ Und wenn ein bewaffneter Einbrecher in sein Haus eindringen würde? „Das würde ich ihm nicht empfehlen“, meint Zakrajsek trocken.

Dieser Artikel stammt aus der Österreich-Ausgabe der ZEIT vom 12. Februar 2015.