Sie will mehr, aber darf nicht: Anna Fenninger muss sich den strikten Regeln des Skiverbandes beugen. Dort herrschen eigene Gesetze.

Von Gerd Millmann unter Mitarbeit von Johannes Schweikle

Erschienen in DIE ZEIT, Nr. 26/2015 vom 25. Juni 2015

Was für ein Konflikt: auf der einen Seite die beste Skifahrerin der Welt. Die 26-jährige Salzburgerin Anna Fenninger gewann zweimal den Gesamtweltcup, sie ist Olympiasiegerin, dreifache Weltmeisterin und hat noch viel vor. Auf der anderen Seite der 73-jährige Peter Schröcksnadel: Ein knorriger Tiroler alten Schlags, erfolgreicher Unternehmer und allmächtiger Präsident des österreichischen Skiverbands ÖSV. Die beiden können nicht miteinander und müssen dennoch zusammenarbeiten.

Fenninger will weiter „für Österreich“ starten und nicht auf eigene Faust durch den Weltcup tingeln. Schröcksnadel braucht die Athletin als Zugpferd und will kein weiteres Störfeuer, welches das Getriebe der Millionenmaschine ÖSV aus dem Gleichgewicht bringen könnte, und keine weitere Kritik an Verträgen mit den Sportlern oder den Methoden des Verbandes. Noch hat niemand erfolgreich den Aufstand gewagt. Auch Fenninger musste klein beigeben. Vergangene Woche entflammte der schwelende Konflikt zwischen der Skikönigin und dem Alpenkaiser – und wurde oberflächlich gelöscht. Doch er kann jederzeit wieder ausbrechen.

Trotz Widerstandes von Schröcksnadel wird Klaus Kärcher Fenninger weiter betreuen. „Die Anna hat sich bewusst einen Berater gesucht, der mit dem System nicht verfilzt ist“, sagt der Deutsche der ZEIT und bricht sein Schweigen. „Ich bin ja nicht der erste Manager, der Probleme mit diesem System bekam. Es verträgt keinen, der dem Athleten hilft, über das System hinauszustrahlen.“

Zwischen Fenninger und dem Verband kriselt es schon länger. Mit gewachsenem Selbstbewusstsein hatte der Topstar einen Mehrfrontenkrieg eröffnet. Im Mai ließ sie den ÖSV wissen, sie fühle sich nicht ausreichend betreut. Konkret forderte sie, wie aus einem gegen ihren Willen veröffentlichten E-Mail an den ÖSV hervorgeht, einen eigenen Physiotherapeuten, der ihre lädierten Sportlerknie behandelt. Weiters meinte Fenninger: „Seit Jahren lebe ich damit, dass beim ÖSV nach Kriterien differenziert wird, die mit sportlichen Leistungen nichts zu tun haben.“ Und sie drohte: „Womit ich mich nicht abfinden werde, ist eine Einflussnahme auf meine sportliche Förderung … ich werde in diesem Fall zu drastischen Maßnahmen greifen.“ Ungewohnte Worte für den Herrn Präsidenten – noch dazu von einer jungen Frau. Er ließ durchsickern, dass Fenninger „schlecht beraten“ sei und meinte damit wohl ihren Manager.

Die jüngste Eskalation brachte eine Mercedes-Limousine ins Rollen. Zunächst kam es am 11. Juni zu einem Versöhnungsgipfel. Fenninger, ihr Anwalt und Kärcher trafen auf ÖSV-Vize Klaus Leistner, Sportdirektor Hans Pum und ÖSV-Anwalt Herbert Hübel. Nach einem siebenstündigen Gespräch trennte man sich – einvernehmlich, wie Fenninger und ihr Manager meinten. Mit Differenzen, wie der ÖSV meinte. Vor allem bezüglich einer Anzeigenkampagne.

Tage später schmückte Fenninger Inserate der deutschen Laureus-Stiftung, die soziale Sportprojekte finanziert. Eine Charity-Aktion? Nun ja. Zur Hälfte war eine verwegen blickende Fenninger zu sehen, zur anderen Hälfte ein allradbetriebenes Kraftfahrzeug aus Stuttgart. „Atemberaubend in der Stadt, Raubtier in freier Wildbahn“, lautete die Headline dazu. Eine Aktion, die dem ÖSV den Atem raubte. Fenninger wurde mit drastischen Folgen gedroht, sollte sie die Kooperation nicht stoppen. Audi ist ein Hauptsponsor des ÖSV und sieht die Bewerbung der Produkte eines Konkurrenten mit Ärger und Missfallen. Fenninger machte ihrer Enttäuschung auf Facebook Luft. Sie sei „jahrelang hintergangen worden“, die Wertschätzung von Frauen im ÖSV erinnere an frühere Zeiten, das Ergebnis sei „ein stolzer Tiroler, der die Hände nicht mehr runter bekommt. Ich bin müde und kann nicht mehr“, schrieb sie. „Ich habe alle diese Lügen satt.“

Österreichs Sportwelt hielt den Atem an: Die beste Skifahrerin der Welt drohte mit dem Karriereende.

„Sie ist extrem ehrlich und gut erzogen“, sagt Kärcher über sie. „Sie ist absolut loyal und versteht sich als Teamplayer. Aber wie alle erfolgreichen Spitzensportler ist Anna auch nicht einfach. Sie erwartet von ihrem gesamten Umfeld das gleiche hundertprozentige Engagement, das sie im Sport bringt.“

Doch Schröcksnadel wusste den Angriff abzuwehren. Er kündigte eine Pressekonferenz an, die an Fenningers 26. Geburtstag stattfand. Das Ereignis wird aus zwei Gründen im Gedächtnis bleiben. Erstens verkündete der Präsident, dass Fenninger sich bei ihm entschuldigt hätte und wieder im Schoss des ÖSV  aufgenommen und wohlgelitten sei. Zweitens outete sich Schröcksnadel als großer Frauenversteher und begründete den Konflikt indirekt mit Kommunikationsproblemen. „Wenn ich im Auto fahre, und ich muss wohin, dann sage ich: ,Du, ich muss stehen bleiben, ich muss aufs Häusl‘“, führte er aus. Eine Frau hingegen würde sagen: „Du, Schatzi, möchtest du nicht stehen bleiben und einen Kaffee trinken?“

In der restlichen Berufswelt würde ein solcher Vertrag keinen Tag halten

Der Papst hat gesprochen, und damit ist die Sache entschieden? Unwahrscheinlich, denn der entscheidende Konfliktpunkt bleibt weiterhin ungeklärt: Für wen darf Frau Fenninger nun genau werben?

Berufssportler leben in einer Welt aus einschränkenden Regeln. Ohne Lizenz des nationalen Verbands darf keiner starten. Also benötigt Fenninger die Lizenz des ÖSV, nur er darf als Monopolist Starter zu Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen entsenden. Jeder Athlet hat drei Erklärungen zu unterschreiben, durch die er sich den Statuten und den Vorgaben des ÖSV unterwirft. Eine Lizenzerklärung, eine Verhaltensordnung und Ausführungsbestimmungen für Werbung. Wichtigster Passus: Der ÖSV unterschreibt die Verträge mit Sponsoren, er kassiert das Geld, zieht seine zehnprozentige Provision ab und leitet den Rest an den Aktiven weiter. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob der ÖSV oder ein externer Manager das Sponsoring akquiriert hat. Der ÖSV bekommt seinen Anteil.

Diese Lizenzerklärung für die kommende Saison wollte Fenninger ursprünglich nicht unterschreiben. Aus ihrer Sicht nachvollziehbar, denn ihr bleibt als persönliche Werbefläche nur der Platz auf dem Helm. Die Werbeflächen für den Rest der Skiausrüstung bestimmt ausschließlich der ÖSV. Und selbst für den Kopfsponsor wird das Placet des Verbands benötigt. Die Werbefläche auf Kopfbedeckungen ist laut Punkt 2.1 der Ausführungsbestimmungen „im Eigentum des ÖSV“.

Die Verträge würden gegen Kartellrecht verstoßen, es fehle aber an Urteilen

Da bleibt wenig Platz für eine nachhaltige Markenbildung, wie sie Klaus Kärcher mit Fenninger vorhat. Aufgrund ihrer Erfolge als Juniorin wurde sie als neue Annemarie Moser-Pröll gehandelt, fühlte sich nach Misserfolgen aber alleingelassen. Der Tiefpunkt waren die Olympischen Spiele von Vancouver, bei denen sie hinterherfuhr. Zu Kärcher fand sie schnell einen guten Draht. Seit dem Frühjahr 2011 kümmert er sich um die Eigenvermarktung der Sportlerin. Doch welche Einfälle er auch hat: Er ist dabei immer an den Verband gebunden. „Alle Arrangements bedürfen in jedem Einzelfall der Anmeldung, Genehmigung und des Vertragsabschlusses durch den Österreichischen Skiverband“, heißt es in der Lizenzerklärung. Übrigens wird diese nur vom Athleten unterschrieben, kein ÖSV-Funktionär setzt seinen Namen darunter.

In der restlichen Berufswelt würde ein solcher Vertrag keinen Tag halten. Hätte es Fenninger tatsächlich auf einen Rauswurf aus dem Verband ankommen lassen, dürfte sie zwei Jahre lang für kein anderes Land starten. Das ist arbeitsrechtlich bedenklich, aber der Skizirkus tickt nach eigenen Regeln. Auch der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sei offensichtlich, sagen Juristen. Skifahrer verdienen ihr Einkommen aus drei Quellen: Zahlungen ihrer Ausrüster, Preisgeldern bei Rennen und etwaigen Erlösen eines Kopfsponsors. Wobei die Auswahl nicht groß ist. Zum einen muss der Sponsor einen Sportbezug haben. Und zum anderen darf er nicht mit den Sponsorinteressen des ÖSV kollidieren. Kein leichtes Unterfangen, schließlich hat der Skiverband unter anderem Bierbrauereien, ein Telekom-Unternehmen, eine Zahnpastamarke, einen Tiefkühlgemüse-Produzenten, eine Versicherung, eine Bank, einen Erzeuger medizinischer Produkte, Bekleidungsfirmen, eine Mineralölfirma und die Kronen Zeitung als Sponsoren. Sogar das Finanzministerium ist ein Werbepartner des ÖSV.

Mark Orth, Anwalt und Lehrender an der Sporthochschule Köln, sieht klare Verstöße gegen das Kartellrecht, aber es fehle bislang an entsprechenden Urteilen. „Mutige Athleten sollten das vor Gericht ausfechten“, rät er. Zur rechtlichen Lage kommt noch ein inhaltlicher Graubereich dazu. „Die ÖSV-Vereinbarung ist zu wenig transparent und unklar geregelt“, sagt Kilian Albrecht. Das ehemalige Slalomass kehrte auch dem ÖSV den Rücken und startete am Ende seiner Laufbahn für Bulgarien. Heute managt er unter anderem die Amerikanerin Mikaela Shiffrin.

Alpine Skifahrer sind Höchtleistungsmaschinen in Menschenform. Wer sich waghalsig den Berg hinunterstürzt, schont weder das Material noch seinen Körper. Deshalb klagen fast alle ehemaligen Skifahrer über kaputte Knie und Rückenprobleme. Natürlich nehmen sie diese in Kauf – für den Ruhm und das Geld. Umso unangenehmer, wenn die Gage eingeschränkt wird.

Präsident Schröcksnadel verweist gerne darauf, dass sein Verband Reisen, Verpflegung, Trainer, Therapeuten und Unterkunft bezahlt. Was auch stimmt, aber neben den Sponsoreinnahmen greift der Verband auch auf öffentliche Förderungen zurück. 3,2 Millionen Euro bekommt der ÖSV heuer aus der besonderen Sportförderung, dazu kommen die Kosten für Sportler, die beim Bundesheer oder der Polizei im Sold stehen. Allein die Beschickung von Marcel Hirscher und vier weiterer Kollegen zu Wettkämpfen und deren Trainings sowie sportwissenschaftliche und sportpsychologische Maßnahmen kosten die Steuerzahler via Sportförderung dieses Jahr 62.000 Euro.

Ähnliche Unterstützung nehmen auch andere Sportverbände in Anspruch. Sie gewähren ihren Athleten aber weit mehr Rechte als der ÖSV. Der Schwimmverband hat etwa überhaupt keine Einschränkungen für seine Athleten, dasselbe gilt für die Leichtathleten. Einzige Bedingung: Bei Wettkämpfen ist die Ausrüstung des Verbands zu tragen.

Im Skisport waren es bislang meist Athleten aus der zweiten oder dritten Reihe, die den Verband herausforderten. Zum Beispiel kam der Slalomläufer Rainer Schönfelder 2011 mit dem ÖSV über Kreuz. Der verhaltenskreative Kärntner war wegen mangelnder Leistungen aus dem Kader gefallen, trainierte zwei Jahre lang mit eigenem Individualtrainer, wurde wieder für Slaloms nominiert und dankte 2013 ohne weitere große Erfolge ab. Skispringer Andreas Goldberger war 1997 wegen Kokainkonsums verurteilt und vorläufig suspendiert worden. Beim Bezirksgericht Ried erwirkte er die Erlaubnis, an Skisprung-Veranstaltungen teilzunehmen, nahm die jugoslawische Staatsbürgerschaft an und wollte für den Balkanstaat starten, bevor es doch noch zu einer Einigung mit dem ÖSV kam. Marc Girardelli wechselte 1983 die Staatsbürgerschaft und gewann für Luxemburg fünfmal den Gesamtweltcup. Aber das war, bevor Schröcksnadel 1990 Präsident wurde. Eingeweihte erinnert der Fenninger-Aufstand an das Jahr 2012, als Österreichs männliches Pendant zu Fenninger, Marcel Hirscher, ein ähnliches Match ausfocht, sich aber zahlreiche Ausnahmen erkämpfte. Sein Vorteil: Der vierfache Weltcupsieger besitzt neben der österreichischen auch die niederländische Staatsbürgerschaft und könnte alternativ für Holland an den Start gehen.

”What does not kill you makes you stronger“, postete Fenninger nach der Einigung mit Schröcksnadel auf Facebook. Und ein für den Herrn Präsidenten leicht unangenehmes “keep on fighting”. Im September wird sie ihren neuen Kopfsponsor präsentieren. Es wird sicher nicht Mercedes sein, lässt sie ausrichten.

Mitarbeit: Johannes Schweikle

Dieser Artikel stammt aus der Österreich-Ausgabe der ZEIT, Nr. 26 vom 25.06.2015.


PS.: Anna Fenninger heiratete am 16. April 2016 ihren langjährigen Freund, den Snowboarder Manuel Veith und nahm seinen Namen an.

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